(B)LOGBUCHEINTRAG VOM 21.08.2020: Bewegung steht im Vordergrund, wenn auch noch nicht auf dem Reha-Plan.

Gestern war Ankommen die Devise. Heute ist erkunden angesagt. Mein Tagesplan liest sich wie folgt.

Der Tag beginnt recht früh. Um 7:00 Uhr soll ich schon bei den „Vampiren“ sein, wie die Schwestern von den anderen Mitarbeitern genannt werden. Und die Schwestern wollen natürlich ALLE nur eins von mir. Mein Blut. Wirklich alle. Denn meine Venen sind noch etwas skeptisch ob der Einrichtung hier. Einen Moment lang war es mucksmäuschenstill im Raum und so meine ich gehört zu haben: „Das sieht hier aber anders aus, als da wo man uns das letzte mal den Saft aus dem Arm gezogen hat! Wer sind diese Menschen? Ich habe Angst!“, flüstert die Vein basilica zur Vein mediana cubiti. „Ich auch, aber lass uns erstmal abwarten. Wird schon!“, antwortet die Vein mediana cubiti zuversichtlich. Die Vein Basilica ist davon noch nicht überzeugt und zieht sich schüchtern zurück. Und so kommt es, wie es kommen muss. Die erste Schwester sticht und…? Findet nichts. Ein paar klägliche Tröpfchen meines roten Betriebsmittels landen in der Monovette. Ich bin unzufrieden. Die Schwester auch. Sie bittet eine zweite Schwester zu Hilfe. Diese kommt hinzu, macht einen verzweifelten Gesichtsausdruck, als sie meine Armbeuge abtastet und sagt: „Ich möchte es mir mit Ihnen nicht am ersten Tag schon verscherzen. Ich hole Schwester … (Namen vergessen. Sorry. Chemobrain!) dazu.“. Und wie sollte es sein? Aller guten Dinge sind drei. Schwester Drei sticht, ich habe zwar das Gefühl, dass es daneben ging, und siehe da, das rote Zeug schießt in einem astreinen Strahl ins Röhrchen. Geht doch!

Danach habe ich noch ein wenig Zeit für mich, bevor ich um 8:30 Uhr zum Frühstück dackele. Danach steht ein Einführungsseminar in die Rehabilitation ein. Was bedeutet Rehabilitation, was sind die Zielsetzungen, gibt es Unterschiede usw. Abgehalten wird das Seminar wieder vom Chefarzt, ein sehr sympathischer und frischer Mensch.

Zwischen 10:00 Uhr und 12:00 Uhr habe ich erneut ein wenig Freizeit, die ich dazu nutze, eine kleine Tour mit dem Rad durch Ratzeburg zu drehen, Post wegzubringen und danach wieder den Röpersberg hinaufzustrampeln. Am Ende stehen nach nicht ganz 30 Minuten fast 9 km und über 102 Höhenmeter auf der Uhr.

Danach Mittagessen, die erste Ergotherapieanwendung, in der wir meine Griffkraft messen (ist im Normbereich, so viel kann ich verraten) und erste Balance und Gelenkübungen machen. Anschließend geht es für die Seminare „Essen und Trinken“ und „Vorstellung Ergotherapie“ wieder in den Seminarraum. Anschließend noch einmal ein wenig Freizeit und um 17:45 Uhr steht dann die Abendverpflegung auf dem Plan.

Nachdem die ganzen Punkte abgearbeitet sind, stehen wir die Einrichtungen zu freien Verfügung. Um 20:00 Uhr treibt es mich dann in den Fitnesspavillion, wo ich nach gefühlt zwei Jahren mal wieder Bankdrücken mache. Es sind nicht viele Gewichte auf der Stange, aber es reicht um mich auszupowern. Um 21:20 Uhr bin ich zurück auf meinem Zimmer, dusche noch flink und schaue mir zur Belohnung noch einen Film an: „Le Mans 66“ mit Christian Bale und Matt Damon. Guter Streifen!

Gute Nacht!

(B)LOGBUCHEINTRAG VOM 20.08.2020: Es geht los. Die Reha beginnt.

Lange gab es hier nichts zu lesen. Der Grund? Ich gehe davon aus, dass ihr hier eher an meiner Krankheitsgeschichte und dem damit verbundenen Werde- und Genesungsgang interessiert seid und nicht, was bei mir so beim HomeSchooling passiert und ob mir die (uralte) Badehose beim Versuch ein StandUp-Paddelboard zu besteigen reißt. 😀

Dennoch ein kurzes Update seit dem letzen Eintrag. Seit unserem Urlaub haben wir, soweit möglich, unsere Zeit gemeinsam genossen. Meine süße Alex musste zwar kurz nach dem Urlaub wieder arbeiten, aber wir haben dennoch viel Zeit in unserem Schrebergarten verbracht. Auch weil es in unserer Dachgeschosswohnung gut und gerne mal 28 Grad Celsius und mehr werden wollen. Ausserdem möchte der Grill im Garten ja auch artgerecht gehalten werden.

Jetzt wird hier aber wieder langsam etwas mehr Leben einkehren, denn es geht los. Die Reha ist genehmigt und startet heute. Meine Sachen habe ich am Montag schon begonnen zu packen. Also sind sie ruckzuck im Auto verstaut. Eines meiner Räder packe ich in unseren Truppentransporter familiärer Art – für mich ist der T5 Bus immer noch das „Sports Utility Vehicle“ schlechthin, statt der anderen motorisierten Öfen, die diesen Namen führen, denn nirgendwo sonst kriege ich zwei Räder, ein SUP, Strandspielzeug, Gepäck und mindestens 6 Leute unter -, dazu meinen Koffer, meinen Rucksack, einen Stoffbeutel und eine Tragetasche. Dann geht es los. Ich soll nach Möglichkeit nicht vor 8:30 Uhr anreisen und am besten auch nicht nach 9:30 Uhr. Das ist doch ein Zielkorridor mit dem ich arbeiten kann. Zum Glück ist die Anreise nicht weit. Viele haben gesagt: „Was? Es geht *nur* nach Ratzeburg? Das ist aber nicht weit weg. Da kommst du ja garnicht richtig raus!“. Dazu meine Frage: Ist das der Sinn einer Reha? Durch die halbe Republik zu gondeln und sich den Stress einer langen An- und Abreise antun? So bin ich knapp eine Stunde von daheim entfernt und kann am WE meine Mädels sehen, wenn sie hier vorbeikommen. Darüber hinaus ist Ratzeburg eine schöne kleine Stadt, die alles bieten kann, was man braucht. Seen (kleine Radrunde mit ca. 5 km und die große Runde um den großen Ratzeburger See mit knapp 33 km), eine vom Focus Magazin ausgezeichnete onkologische Reha-Klinik, ausgedehnte Wald- und Wiesenwege zum Wandern, aber auch, wie ich befürchte, zum „Schnecken-Stechen“. Das steht mir wohl in Kürze hier bevor. Mit „Schnecken-Stechen“ meine ich natürlich Nordic Walking.

Alles dabei, was man für eine erfolgreiche Reha braucht: mich (im Vordergrund), mein Rad (im Mittelgrund), mein Gepäck (nicht im Bild) und jede Menge Papierkram (im Hintergrund).

Am ersten Tag passiert aber noch nicht viel. Aufnahmegespräch bei der Assistenzärztin, um 12:30 Uhr Mittagessen (ich entscheide mich für den Kabeljau, statt der Königsberger Klopse entschieden, da ich meinen Schweinefleisch-Konsum hier in den 3 Wochen ein wenig einschränken möchte.) und anschließender Erstkontakt mit dem Chefarzt, mit dem ich am Montag aber bereits einmal telefoniert habe, da ich unsicher war, wie es mit meiner Anreise mit Erkältungssymptomen steht. Dazu noch ein kleiner Exkurs:

Am Sonntag stelle ich fest, dass ich mich beim dauernden Hin und Her zwischen warmen und kalten Temperaturen wohl erkältet haben muss. Ich habe Halsschmerzen. In meinem Einladungsschreiben steht, dass man sich vor Anreise im Falle von Erkältungssymptomen mit der Klinik in Verbindung setzen soll. Dies tue ich und bekomme den Chefarzt der AMEOS Klinik ans Telefon. Er rät mir, vor Anreise noch einen COVID-19-Test durchführen zu lassen. So könne ich, sofern dieser negativ sei, am Donnerstag (also heute) beruhigt anreisen. Anderenfalls müsste man den Test in der Reha-Klinik durchführen und mich für die Zeit bis zum Ergebnis isolieren. Das könnten im schlimmsten Fall 24 Stunden sein. Nicht sonderlich interessant für mich. So kontaktiere ich also am Montag meinen Hausarzt. Am Dienstag früh soll ich direkt zwischen 8:00 und 8:30 Uhr in die Praxis kommen. Dies tue ich. Nachdem ich „COVID-19-Test“ gesagt habe, werde ich direkt in ein separiertes Wartezimmer geschleust. In kürzester Zeit kommt Herr Dr. dazu. Er erinnert mich an einen Fachmann vom Bombenräumkommando. Schutzkittel, Atemschutzmaske, darüber eines dieser Plastikschilde, Handschuhe. Der Gesichtschutz ist wahrscheinlich dafür da, damit Hr. Doktor meine Viren nicht abbekommt, falls ich beim Abstrich explodieren sollte. Durchtrennt man dabei in meinem Hals eigentlich irgendwelche Kabel? Hab nicht gefragt. Der ganze Spuk dauert vielleicht 15 Minuten, danach kann ich wieder gehen. Bereits um 16:26 Uhr klingelt das Telefon. Testergebnis: negativ. Also für mich positiv.

Zurück in die Zukunft! Wieder Donnerstag, zurück in der Reha-Klinik. Um kurz vor 3 steht noch die Pflegeanamnese an. Klingt kompliziert, ist es aber nicht. Ich sitze mit der diensthabenden Schwester im Dienstzimmer, bekomme einige Fragen gestellt. Obwohl, eigentlich sind es Feststellungen. Nach meinen fast vier Monaten in der Klinik während der Chemo, habe ich mir angewöhnt, den Schwestern direkt das „Du“ anzubieten. Das macht die Sache entspannter und ich fühle mich nicht so alt. A propos alt. Ich belege vermutlich einen der vorderen Top10 Plätze der jüngsten Rehabilitanden zur Zeit in der Klinik. Stört mich aber nicht. Ich bin ja hier um wieder fit zu werden und auf Vordermann gebracht zu werden und nicht um hier abends Skat mit Günter, Heinrich, Egon und Willi zu kloppen. Ich schweife ab… mal wieder. Die Schwester legt los. Es folgt ein Gedächtnisprotokoll.

Schwester: „Ich muss Ihnen, sorry, dir jetzt noch ein paar Fragen stellen. Bzw. kann ich mir die Antworten aber eigentlich auch denken, aber legen wir los. Du machst nicht den Eindruck als bräuchtest du Hilfe beim Waschen und Anziehen?“
Ich: „Nein!“
Schwester: „Medikamente oder Alkohol?“
Ich: „Nein, ich bin clean.“
Schwester: „Irgendwelche Wunden, die wir versorgen müssen?“
Ich: „Nein, oder warte, doch! Ich habe eben beim Hände desinfizieren gemerkt, dass ich eine offene Stelle an der Hand habe. Das brennt ganz schön!“
Mit einem ironischen Grinsen zeige ich die garstige Wunde. Es handelt sich um einen ca. 2 mm langen oberflächlichen Kratzer am Daumen.
Schwester: „Oh…. Das sieht so aus als müssten wir das amputieren!“
Ich: „Oh, Amputation? Wenn das so ist, brauche ich da eure Hilfe nicht. Das kann ich auch selbst im Auto machen. Hab eine Gartenschere dabei. Ist zwar etwas rostig, aber Sepsis ist ja eh überbewertet!“
Schwester: „Gut, dann haben wir es. Ach nee, Moment. Ich schreibe dir noch unsere Nummer auf. Das ist die Durchwahl zum Schwesternzimmer. Wenn irgendwas ist, du Schmerzen hast, oder sonstwas, kannst du hier anrufen!“

So schnell habe ich noch nie eine Telefonnummer abgestaubt. 😀

Ich fürchte aber, dass ich die Nummer nicht brauchen werde. In 3,5 Monaten Klinikaufenthalt habe ich exakt 2x nach einer Schwester geklingelt und Schmerzmittel gebraucht. Das wird hier wohl nicht passieren. Somit muss ich die Schwester leider von hier aus Grüßen – frei nach Heidi Klum: „Ich habe heute leider keinen Anruf für dich.“

Die Nummer vom Schwesternzimmer. Ich denke aber, dass ich sie nicht brauchen werde.

Um 15:15 Uhr gibt es eine Hausführung. Was soll ich sagen? Ich bin erschlagen von der Weitläufigkeit des gesamten Komplexes. Jedes Gebäude besteht aus vier oberirdischen Geschossen und mindestens einem unterirdischen und jedes Gebäude ist irgendwie mit einem anderen verbunden. Von allen Einrichtungen, die wir gezeigt bekommen, vergesse ich 75 % wahrscheinlich direkt wieder. So kommt es, dass ich mich am ersten Abend durch die Katakomben schlage, auf der Suche nach dem Wasserlager um mich noch mit ein paar Wasserflaschen einzudecken. Denn mehr Trinken ist hier auch eine meiner Prämissen. Ich schaffe heute insgesamt etwas über 3 Liter.

Anschließend begebe ich mich auf eine erste Erkundungsfahrt mit dem Rad. Danach heißt es erstmal nur noch ankommen und ein bisschen auf dem Balkon chillen.

Mein helles und freundliches Appartement in der AMEOS Klinik Ratzeburg.

Ja, ihr seht richtig. Einen Fernseher sucht man in den Zimmern vergeblich. Man kann sich einen bei einem örtlichen Elektroladen mieten und bekommt ihn dann ins Haus gebracht. Derzeit läuft aber nichts im TV was für mich die 1,50 € bis 2,00 € Mietgebühr pro Tag rechtfertigt. Dagegen sind die 10,-€ für das recht schnelle WLAN für 21 Tage durchaus empfehlenswert und für mich deutlich besser investiert. Denn damit finde ich dann immer was bei Netflix und Co. wenn ich mich denn medial berieseln lassen möchte. Und habe natürlich immer Zugriff auf den Blog und kann euch auf dem Laufenden halten.

Soviel vom ersten Tag! Morgen geht es weiter!

(B)LOGBUCHEINTRAG VOM 27.06.2020: Auszeit

Es ist soweit. Das erste mal seit Ausbruch der Coronahysterie haben wir eine Auszeit auf dem Plan stehen. Es wurde auch echt Zeit. Die letzten Wochen waren enorm anstrengend. Jeden Tag Homeschooling auf der einen Seite, enorme Einschränkungen der gewohnten Freizeitgestaltung auf der anderen Seite.

Also flott den Truppentransporter familiärer Art vollgepackt und ab in Richtung Ostsee. Zusammen mit meinen Mädels, den Schwiegereltern und Alex‘ Onkel und Tante haben wir uns in ein Ferienhaus in Großenbrode, auch Big Brody von uns genannt, gemietet.

Nach 1,5 Std. Fahrt sind wir auch schon angekommen. Die Mädels sind direkt wie von der Tarantel gestochen ins Meer gerannt.

Abend stand dann das obligatorische Grillen auf dem Plan, danach noch einmal kurz ans Meer und zu guter Letzt: gemütliches Beisammensitzen.

Zum Schluss noch eine neue Rubrik!

Erkenntnis des Tages:

Mehrere Halbstarke nähern sich der Seebrücke. Einer sagt: „Rechts von der Seebrücke ist der Weg ins Wasser flacher, aber links ist es genauso flach!“

Ah, ja! 😂

(B)LOGBUCH VOM 28.04. BIS 05.06.2020

Homeschooling, technisches Versagen und total boredom

Ja, ich weiß. Es ist ruhig geworden hier. Das ist es aber überall. Es passiert ja auch derzeit nicht so viel. Ich arbeite nicht, weil meine Onkologin das noch bis mindestens August untersagt. Tagsüber erlebe ich auch nicht viel nennenswertes, da ich momentan immernoch versuche Liegengebliebenes aufzuarbeiten. Steuererklärung, Post, Ablage und so weiter. Dinge, die dir selbst wahrscheinlich bei dir schon nicht sonderlich viel Spaß machen. Für mich also auch kein Grund, mich da jetzt hier ausgiebig zu äussern. Macht keinen Spaß – uns beiden nicht. Daneben bin ich ja auch noch Teilzeitlehrer für zwei kleine Mädels, was zeitweise auch mal ziemlich frustrierend sein kann. Für beide Lager. Ich bin kein ausgebildeter Lehrer. Ich weiß nicht zweifelsfrei, wie ich Stoff vermitteln soll, damit eine 7- und eine fast 10-jährige sie verstehen. Die Schule und die Lehrer sind da leider auch in keinster Weise eine Hilfe, da haben wir leider kein gutes Los gezogen. Während anderenorts schlüssige und funktionierende Konzepte erarbeitet wurden, um die Kinder im Teleunterricht zu schulen, beschränkte sich das „Teleunterrichtskonzept“ bei unserer Grundschule auf wenige Jitsi-Meetings. Da geht es für mich schon los. Jitsi wäre für mich nicht die erste Wahl. Bei den aufgeteilten Gruppen mit maximal 5 Teilnehmern mag das noch gehen. Bei den über 20 Teilnehmern der 4. Klasse war das Chaos prädestiniert. Verbindungsabbrüche, extremes Stimmengewusel, keine Rollenverteilung. So war das eMeeting-Erlebnis der kleinen dann auch eher suboptimal. Das der Lehrer wahrscheinlich auch. „Aber wir haben es wenigstens versucht.“ scheint mir hier die Prämisse. „Beim nächsten Mal wird es bestimmt besser und wir schauen mal, ob wir bessere Alternativen oder Planungen finden oder anstrengen können“ wäre für mich der bessere Ansatz gewesen. So bleibt es für mich leider mit dem faden Beigeschmack behaftet und kommt in die Schublade „gewollt aber nicht gekonnt“ – Schade eigentlich. Letztendlich blieb und bleibt bundesweit alles an den Eltern hängen. Und dabei sind wir noch in einer vergleichsweise komfortablen Situation. Dadurch, dass ich derzeit nicht arbeite habe ich (zumindest theoretisch) die Kapazität die Kids zuhause zu beschulen. Aber eben auch nur theoretisch. Oben genannten Punkte stehen dem im Weg. Naja, wird schon werden. Bald sind ja Sommerferien und danach geht es für die Große auf die weiterführende Schule. Zum Glück mit deutlich mehr Medienkompetenz. Für uns alle sind die Sommerferien herbeigesehnte Auszeit.

Auszeiten

Auszeit ist ein gutes Stichwort. Davon haben wir uns auch ein paar genommen. Vom 15. bis 24.06.2020 waren wir unter anderem in der alten Heimat. Alex musste zwar im Zeitraum vom 18. bis 20.06. noch homeofficemäßig arbeiten, aber auch das ging. Auch wenn die Internetleitung bei Oma und Opa angesichts des gestiegenen Datenstroms nun schon an ihre Grenzen stieß. Wenn die Mädels ihre Serie aufs Tablet streamten, Opa an seinem Rechner arbeitet und ich vielleicht noch meine Mails abrief wurde es für Alex schon schwierig, die notwendige Bandbreite für ihren Videocall zu reservieren. Aber auch das haben wir irgendwie hingekriegt. Und wenn es nur durch räumlichen Umzug näher an den WLAN-Router war. Abgesehen von der Arbeit waren wir aber auch körperlich recht fleißig. Am Sonntag radelten wir alle zum Seeburger See und zurück (rd. 20 km). Die kleinen haben das erstaunlich gut weggesteckt, sind sie solche Strecken aus Hamburg doch nicht gewohnt. Selbst ich wüsste ad hoc nicht, in welche Richtung man fahren sollte, um hier oben 20 km nahezu ununterbrochen und ungefährdet abradeln zu können. Am darauffolgenden Montag haben die Mädels und ich mit Oma noch einen Radausflug ins 13 km entfernte Duderstadt gemacht. Mama Alex war derweil bei ihren Eltern im Homeoffice und unser Familienhund beim Hundefriseur. Nach der halben Strecke hatte unsere kleinste Prinzessin die Faxen dicke: „Ich will wieder nach Hause! Ich bin kaputt!“ war ihre Aussage, gefolgt von einem amtlichen Weinanfall. Damit meine ich nicht den Weinanfall, den Erwachsene kennen – also Pulle auf, Wein wegpumpen, Pulle in den Altglascontainer – nein, schon so einen mit dicken Tränchen und so weiter. Nachdem ich die kleine Maus in den Arm genommen habe, sie fest gedrückt und erklärt habe, dass wir uns in der Mitte der Strecke befänden, wir jetzt umkehren könnten, ihr aber dann das leckere Eis entginge, mobilisierten sich neue Kräfte in dem kleinen Körperchen. Ab da wollte sie es noch mal wissen. Wie ein unermüdlicher Lemming ackerte sie sich die Hügel bergauf und bergab, verdrückte dann in DUD das Eis, drückte dann Mama, die mit unserem T5-Truppentransporter familiärer Art von ihren Eltern zurückkam und zu uns stieß. Den Rückweg traten die Mädels, ihre Fahrräder und Mama dann im T5 an. Oma fuhr schon mal mit dem Rad vor, ich kehrte noch schnell bei meinem best Buddy in seiner Zahnarztpraxis ein und begab mich dann auch auf den Rückweg. Habe ich für den Hinweg mit Oma, den Kids und der kleinen Diskussionspause knapp 58 Minuten gebraucht, so war mein eigener Anspruch, es allein in mindestens 45 Minuten zu schaffen. Ideal wären für mich 30 Minuten gewesen. Das wäre in etwa mit meiner alten Kondition und Form vergleichbar gewesen. Am Ende habe ich die Minimalanforderung deutlich unter- und die Optimalanforderung knapp überboten. 32:28 Minuten habe ich für die knapp 13 km gebraucht. Gar nicht so schlecht und ein gutes Zeichen der Hoffnung. Welche aber bald wieder in Trümmern vor mir liegen sollte.

Mit dem T5-Truppentransporter familiärer Art bei Oma und Opa angekommen.

Über Christi Himmelfahrt konnten wir unseren für Januar eigentlich schon geplanten und gebuchten Urlaub nachholen und so luden wir alles benötigte in unseren T5-Truppentransporter familiärer Art und düsten in den Harz. Unser temporäres Domizil lag im Panoramic Hotel in Braunlage-Hohegeiß. Am ersten Tag erkundeten wir die Umgebung zu Fuß. Wanderten fast 5 km durch die Harzer Wälder, entdeckten alte Mühlen oder verlassene Bergwerksstollen, die heute das neue Zuhause unzähliger Fledermäuse sind.

Der verlassene Stollen dient heute unzähligen Fledermäusen als neues Zuhause.

Am zweiten Tag ging es nach St. Andreasberg zum Matthias-Schmidt-Berg. Im Nachhinein ärgere ich mich, dass ich zwar mein Bike, aber kaum Protektoren dabei hatte. Somit blieb das Rad am Auto und wir fuhren mit der Seilbahn hoch (unzählige Male) und mit der Sommerrodelbahn wieder runter (auch unzählige Male).

An Tag drei kamen dann die Räder mal wieder zum Einsatz. Zum Glück habe ich dieses Mal keinen Tracker laufen lassen. Die Tagesform war dieses Mal enorm unterirdisch. Jede noch so kleinste Steigung musste ich absteigen und schieben 👎 Auch unsere Kleine hatte mal wieder absolut null Bock mehr. Somit erkämpften wir uns die Rückkehr und ließen die Bikes erstmal links liegen und düsten nochmal zum Matthias-Schmidt-Berg. Nochmal rodeln. Die Mädels machen das jetzt mittlerweile allein. Allein in die Gondel, hochfahren, oben aussteigen, auf die Sommerrodelbahn, nach unten düsen, repeat. Solange das elterliche Portmonee das mitmacht. Momentan nicht so oft wie die Kids gern hätten. 😄

Mittlerweile können Mama und Papa auch mal im Tal bleiben. Die beiden machen das inzwischen souverän auch alleine.

Am Sonntag ging es dann nach dem Frühstück wieder zurück in Richtung Hamburg und Richtung Alltag und Richtung Homeschooling.

Für Alex und die Mädels gab es dann am darauffolgenden Wochenende eine Auszeit bei ihren Eltern. Ich durfte das erste Männerwochenende mit Veit verbringen. Wir hätten uns ohnehin an dem WE gesehen, da da eigentlich die Airport Days mit 1/4-Meilen-Rennen in Anklam angesagt waren, die dann dank Maisbier-Virus (Corona) zwar stattfanden, aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit ohne Besucher. Somit taten wir bei Veit daheim alles, was Männer so tun. Grillen, ein paar Biere diverser Braukünste und -arten verkonsumieren, Bogen- und Armbrustschießen, Feuer machen, Quatsch labern (worin Veit und ich gemeinsam großartig sind, wir werden das mal aufnehmen und podcasten!) und irgendwas mit Autos anstellen. Nach der darauffolgenden Woche Homeschooling mitsamt ihrer Höhen und Tiefen sind wir somit schon beim „heute“ angekommen. Du siehst also: „nix verpasst, weil nicht viel passiert!“.

Somit schließe ich mal wieder und hoffe, dass sich hier bald mal was tut!

(B)LOGBUCHEINTRAG VOM 11.04. BIS 27.04.2020 – Wiedereingewöhnung zuhause

Es war jetzt längere Zeit ziemlich ruhig hier. Das lag zum einen daran, dass ich mich erstmal wieder dran gewöhnen musste, wie sich das Leben außerhalb der Klinik anfühlt. Zum anderen waren da ja auch noch die anderen Dinge, die man sonst so macht, wenn man ein „richtiges“ Leben führt. Liegengebliebene Post sichten, checken, ob noch Aufträge aus dem Shop zu bearbeiten sind oder eben einfach Zeit mit der Familie verbringen. Ich versuche jetzt hier mal aufzudröseln, was ich in den letzten 16 Tagen so erlebt, ausprobiert und zustande gebracht habe:

11.04.2020: Ich war heute shoppen. Aber nicht für mich. Ich hab es ja schon ein paar mal hier im Blog angedroht, aber ich halte mich halt auch an die Versprechen, die ich mache. Und mein Versprechen war, anderen zu helfen, wenn und wo ich kann. Meine erste Hilfestellung bzw. Unterstützung geht an den 3-jährigen Milan. Er ist noch so jung, hat aber selbst schon den Kampf gegen den Krebs aufgenommen und schlägt sich tapfer gegen einen Hirntumor. Seinen Vater kenne ich über das Autoforum, in dem ich schon lange Mitglied bin. Er verriet mir, dass Milan HotWheels-Autos sammelt, am liebsten US-Cars. Damit rannte er bei mir natürlich offene Türen ein. Somit war es eine der ersten Erledigungen, die ich absolvierte. Im örtlichen Supermarkt habe ich dem kleinen ein Potpourri aus US-Cars zusammengestellt und per Post geschickt. Natürlich musste ein Modell mit Farbwechselfunktion dabei sein. Die habe ich damals schon geliebt! Die finanziellen Mittel daraus möchte ich mit meinen Projekten GPH Performance und Matchbox your Car generieren. Seit Anfang April gehen Teile der Umsätze direkt in einen Topf für wohltätige Zwecke. Im Schnitt sind das zwischen 25 und 33 % des Gewinns. Aber auch Unterstützungen Außenstehender helfen. Du möchtest unterstützen? Dafür habe ich den Menüpunkt „Unterstützen“ eingerichtet. Hier kannst du einen beliebigen Beitrag spenden, den ich dann für solche Projekte einsetze.

Auch auf diesem Wege möchte ich dir, kleiner Milan, alles Gute wünschen und dich bitten, dass du bitte genauso tapfer weitermachst, wie bislang! Du schaffst das!

Abends werfe ich dann noch den Grill an und danach zünden wir im Feuerkorb noch unser eigenes kleines Osterfeuer an. Ich habe das Gefühl, dass die Kinder etwas bescheidener geworden sind. Lara und Maxima haben gestern beim Osterfeuer gesagt, sie freuen sich auf Ostern, weil wir da alle zusammen sein können.

12.04.2020: Es ist Ostersonntag. Wie lange habe ich diesem Fest gemeinsam mit meiner Family entgegengefiebert. Morgens ging es los in den Garten. Denn zuhause hat der Osterhase irgendwie nichts fallen gelassen. Dort angekommen, machten sich die Mädels direkt auf die Suche – und wurden auch schnell fündig. Neben diverser Süßigkeiten fanden sie auch kleinere Spielsachen (Schleich-Pferde, ein bisschen Playmobil usw.). Wir genießen den Feiertag, dennoch sind meine Gedanken auch bei all denen, die in diesen Zeiten die Feiertage auf Krankenstationen ohne Besuch verbringen müssen.

Vom 13.04. bis 15.04.2020 passiert nicht viel nennenswertes. Erst am 16.04.2020 komme ich wieder etwas in Fahrt. Im Moment läuft mein Hirn wieder im Grafikmodus. Ich habe mir selbst 3 Shirts entworfen, mit denen ich die Zeit für mich noch etwas mehr verarbeite. Aber auch satirische und ironische Ideen kommen mir. Wie z. B. ein sensationelles neues Showkonzept.

Hier die Kurzfassung:

5 Frauen, die sich bislang nicht kennen, werden zusammengewürfelt. Dann dürfen sie sich gegenseitig fertig machen. So ein bisschen wie bei der Comedy Roast Show. Am Ende bewerten die Frauen sich gegenseitig. Zusätzlich bekommen sie Punkte von einem berühmten Pöbler, Felix Lobrecht oder Serdar Somuncu oder Oliver Pocher. Die Gewinnerin bekommt 500,- €. Ein Logo habe ich auch schon entworfen. Als ausstrahlenden Sender könnte ich mir Vox gut vorstellen.

Der 17.04.2020 ist ein Tag im Zeichen der Auszeit. Heute passiert nix, was hier im Blog erwähnen finden muss.

Am 18.04.2020 genießen wir erneut das schöne Wetter im Garten. Zusammen mit meiner jüngsten Tochter Lara bestreiten wir den Weg in dort hin per Zweirad (knapp 2-4 km je nach Route). Ich nennen Lara liebevoll meine „Bewegungshelferin“. Good thing: Ich merke, wie die Kondition langsam zurückkommt. Ich bin nicht mehr klatschnass geschwitzt, wenn ich ankomme und zwischendurch waren auch mal kleine Sprints gegen Lara und ein paar kleinere Sprünge drin. Noch vor 3, 4 Wochen wären zumindest die Sprints undenkbar gewesen. Aber auch die Sprünge haben extrem Kraft gekostet. Langsam legt sich das alles.

Im Garten angekommen arbeiten wir unser Standardprogramm ab. Ein wenig Sonne tanken, obwohl ich da noch sehr aufpassen muss. Meine Haut ist noch sehr sonnenempfindlich und ich habe auch eine leichte Sonnenallergie ausgebildet. Aber auch der Genuss kommt nicht zu kurz. Wir machen uns den Tag und das Gartenleben mit Keksen und Eiskaffee schön. Abends essen wir auch im Garten. Es gibt natürlich leckeres vom Grill. Wir haben pulled Pork, Spieße und Feta, Champignons, Tomaten und Paprika in Alufolie gegrillt.

Der 19.04.2020 steht auch noch einmal im Zeichen der sportlichen Aktivität. Wir fahren mit dem Auto an den Rande Hamburgs und düsen mit unseren Rollern bzw. Inlineskates durch das Naturschutzgebiet am Höltigbaum. Insgesamt fast 8 km spulen wir auf dem Hin- und Rückweg ab. Da kann man danach auch schon mal ein Nickerchen in der Sonne halten. Dafür geht es wieder in den Garten. Leider muss ich mich dafür komplett vermummen, denn meine Haut, speziell im Gesicht, ist immer noch extrem lichtempfindlich zur Zeit. Aber das werde ich auch schon noch los. Ich bin nicht umsonst Hodgkins Endboss. Da lass ich mich von ein paar Hautproblemchen doch nicht ins Bockshorn jagen. Das Shirt ist übrigens eins der 3 Shirts, die ich mir gemacht habe. 🙂

Danach geht es für mich wieder an den Grill, dann nach Hause und mit den Mädels noch etwas auf Disney+ schauen.

Am 20.04. und 21.04. ist auch wieder eher Dienst nach Vorschrift angesagt. Alex schrubbt ihre Stunden im Home Office ab, ich helfe den Kids beim Home schooling.

Am 22.04.2020 habe ich meinen ersten Nachsorgetermin bei meiner Onkologin. Ich berichte ihr, dass ich momentan echt trockene Haut habe und sich in den letzten Tagen auch ziemlicher Juckreiz eingestellt hat. Sie rät mir, das zu beobachten. Sie geht zwar nicht davon aus, aber es sind halt auch typische B-Symptome des Lymphknotenkrebses. Sie ist nach wie vor zuversichtlich, dass wir alles ausgemerzt haben. Sollte ich dennoch irgendwo einen Lymphknoten tasten können, so solle ich mich melden, dann würden wir den schallen und überprüfen.

23.04.2020: Wenn der Postmann einmal klingelt, dann hat er 3 tolle Sachen dabei. Beim letzten Einkauf am Dorfplatz haben die Mädels ein paar Skateboarder gesehen und den Wunsch geäußert, das auch mal ausprobieren zu wollen. Das kam mir natürlich komplett zupass, immerhin war ich doch als Jugendlicher auch Skateboarder. Nicht weil ich es unbedingt cooler fand als Inlineskating, ich war schlichtweg zu blöd mit an den Füßen festgeschnallter Rollschuhe zu überleben. Natürlich müssen wir die Teile direkt ausprobieren. Lara und Maxima schlagen sich für Anfänger hervorragend. Ich muss leider feststellen, dass mein Gleichgewichtssinn ungefähr im gleichen Umfang noch vorhanden ist, wie meine Kopfbehaarung. Also ca. 1mm. 😀

Abends muss ich noch tanken, bei einem Dieselpreis unter 1,- € pro Liter. Das ist schon so billig, dass ich mir überlege, Super+ in den 2.5 TDI zu tanken. Ich verwerfe den Gedanken aber wieder. Schlechte Erinnerungen kommen hoch.

Freitag, der 24.04.2020: Morgens habe ich eine schöne Nachricht in meinem Dingsdagram-Postfach. Der Hersteller meines Mountainbikes wirbt normalerweise mit dem Slogan „Live uncaged“, also lebe ungezähmt (frei übersetzt). In Zeiten der Corona-Pandemie ermutigt er uns aber auch, zuhause zu bleiben. Hierzu wurde das „un“ im Slogan kurzerhand gestrichen und die Follower auf Insta ermutigt, Bilder zu teilen, die den Hashtag #livecaged oder #livecagedforthemoment tragen. Dazu soll man sich Gegenstände suchen, mit denen man Käfiggitter imitieren kann. Viele Pro-Biker nehmen dafür Lenker, Federgabeln, der Chef des Unternehmens Hantelstangen. Ich habe mir zwei meiner Chemomedikamenten-Ständer genommen. Das liegt aber auch schon nahezu einen Monat her. Heute schrieb mir YT Industries dann, dass sie mir gern eines der limitierten „live caged“ shirts schicken möchten, wo es denn hinsolle und welche Größe ich mir am liebsten über den Bauch spannen möge.

Ansonsten üben wir fleißig weiter Skateboard fahren. Gegen Mittag recherchiere ich noch etwas, wo denn meine Krebserkrankung hergekommen sein könnte. Ich erfahre, dass oftmals das Epstein-Barr-Virus eine Rolle bei der Entstehung der Krankheit spiele. Das Epstein-Barr-Virus ist häufig der Auslöser für das Pfeiffer-Drüsenfieber oder auch Pfeiffersches Drüsenfieber. Hat man sich das Epstein-Barr-Virus eingefangen, ist das Risiko an Lymphknotenkrebs oder Leukämie zu erkranken etwa 3x höher als ohne das Virus. Das bewegte mich dazu, in mich zu gehen und zu überlegen, ob ich einmal Pfeiffersches Drüsenfieber hatte. Und tatsächlich. Im Oktober 2018 hatten Alex und ich im Center Parcs Urlaub plötzlich eine Mandelentzündung, Fieber und Schüttelfrost. Alles Symptome für das Pfeiffersche Drüsenfieber. Wir hielten es aber für eine normale Mandelentzündung mit schwerem Verlauf. Das werde ich bei meinem nächsten Gespräch mit der Onkologin mal besprechen.

Am Wochenende, 25.04. und 26.04.2020 genießen wir das Leben so gut es geht. Ich versuche ein wenig Flugrost von der Matchbox abzuschleifen, danach chillen wir im Garten. Der Nachtschweiß nimmt zwar ab, der Juckreiz dafür zu. Es gibt kaum eine Stelle an meinem Körper, der nicht juckt. Entweder sind es die Schienbeine oder die Waden oder die Kniekehlen oder die Oberschenkel, oder die Leisten oder die Hüfte oder der Bauch, die Rippengegend oder die Achseln. Lediglich der Kopf und Rücken geben bislang noch Ruhe. Und als hätte es meine Onkologin heraufbeschworen, habe ich am Samstag den Lymphknoten, oder das, was ich dafür halte im linken Arm über dem Ellenbogen tasten können. Nächsten Donnerstag wird er geschallt. Ich hoffe, dass dabei nichts rauskommt.

27.04.2020: Neue Woche, neues Glück. Wir holen die Hausaufgaben der Kids ab und machen dann im Garten Hausaufgaben. Die Ungewissheit rund um den Lymphknoten im Arm und der vermeintlichen B-Symptome kosten psychisch Kraft. Von 14:30 bis 17:45 schlafe ich daher. Ich bin gespannt, was am Donnerstag dabei rauskommt.

(B)LOGBUCHEINTRAG VOM 05.04. BIS 10.04.2020: Es ist geschafft, Freiheit, Freizeit und Ostervorbereitungen.

Der 05.04. startet ob der Geschehnisse der vorherigen Nacht erstmal ungewohnt. Ich bleibe bis ca. 8:30 Uhr in meinem Übergangszimmer. Danach werde ich auf Zimmer 20 „umgebucht“. Ich hab wahrscheinlich mehr Zimmer der Onkologiestation 3B bewohnt als andersherum. Ich versuche im Geiste die Zimmer abzuhaken. Die Station erstreckt sich von Zimmer 19 bis 36:

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Es sind tatsächlich mehr Zimmer, die ich von innen kenne als umgekehrt. Ich bin aber jetzt auch nicht sonderlich scharf drauf, die restlichen auch noch kennenzulernen.

In der Nacht auf den 06.04. schlafe ich schlecht. Ich hatte gehofft, etwas mehr Ruhe zu bekommen. Aber statt äußerer Zwischenfälle tobt der Krieg dieses Mal in mir. Ich habe Schmerzen im unteren Rückenbereich. Es begann schon am Abend. Ich tippe auf die Nieren. Wehren die sich jetzt, weil sie so viele Giftstoffe verarbeiten müssen? Um 2:00 Uhr geht es nicht mehr. Ich drücke meinen kleinen Conciergeknopf (keine Ahnung wie das Teil offiziell heißt. Notfallknopf?). Die Schwester kommt und fragt: „Was ist hier los?! 😁“. Ich erzähle ihr von den Rückenschmerzen und das Schmerztabletten jetzt ganz praktisch wären. Sie sagt: „Schau mal, hab ich schon dabei. Ich hab mir schon gedacht, dass was ist, wenn du nachts klingelst. Das kommt ja sonst nie vor.“. Danach schlafe ich recht gut. Herr Dr. erklärt mir bei der Visite was da heute Nacht los war. Das, was ich für Nierenschmerzen gehalten habe, war ein Überdruck im Rückenmark. Meins hat letzte Nacht scheinbar im großen Stil neue weiße Blutkörperchen produziert, wodurch eben dieser Überdruck entsteht.

Eigentlich war es mein Ziel am 06.04.2020 entlassen zu werden. Die vergangenen 3 Zyklen habe ich jeweils einen Tag früher gehen dürfen:

Zyklus 1 war mit 14 Tagen angesetzt, nach 13 Tagen war ich durch, Zyklus 2 war mit 14 Tagen angesetzt und nach 12 Tagen absolviert. Zyklus 3 habe ich dann nach 11 Tagen schon gehen dürfen, weil die Blutwerte da schon gut waren. Aber in Zyklus 4 war ich wohl zu optimistisch. Am Montag hatte ich „vom Feeling her ein gutes Gefühl“, um den Fußballphilosophen Andreas Möller zu zitieren. Die weißen Blutkörperchen waren auch in der Tat in Ordnung, also jene Zellen, die sich gefräßig jetzt auf das Coronavirus und alle anderen körperfremden Eindringlinge stürzen würden. Die Blutplättchen hingegen waren noch zu niedrig. Also die kleinen Kumpels im Blut, die dafür sorgen, dass das Blut gerinnt, wenn ich mir beim Müllentsorgen wieder den halben Körper am Altpapier aufschlitze. 😁 Das war wohl auch Herrn Dr. wohl zu gefährlich. Auf jeden Fall behält er mich noch bis Dienstag (07.04.2020) stationär. Also ein weiterer Tag Marvel-Filme, -Serien, schlecht schmeckendes Brot, leckere Säfte und chillen. Ich hoffe nun also, dass mein Rückenmark heute nochmal eine Nachtschicht einlegt und Blutplättchen nachschiebt.

Am Dienstag bin ich früh morgens in einer Art Schwebezustand. In der Nacht vor einer potentiellen Entlassung schlafe ich ohnehin eher immer schlecht. Dieses Mal muss ich mich aber 3x umziehen, weil ich so derb geschwitzt habe. Ich weiß nicht, ob es an irgendeinem Medikament liegt, oder ob das vielleicht auch eine Reaktion auf Neubildung von Körperzellen ist.

Morgens kommt jedenfalls die Schwester zur Vitalwertkontrolle und liefert einen ganzen Haufen Pillen gleich mit ab. Mit den Worten: „Geht heute nach Hause!“ legt sie sie mir auf den Tisch. Ich sage: „Geht es?“. Sie fragt, ob ich das noch nicht wisse. Ich sage, dass noch kein Arzt zur Visite da gewesen sei. In dem Moment geht die Tür auf und Herr Dr. steht in der Tür. Ich sage zu ihm: „Sie brauchen eigentlich gar nicht mehr vorbeikommen. Die Schwester hat alles schon gespoilert. Ich kann heute gehen?! Ist ja gut, dass ich 90% meiner Sachen schon gepackt habe!“. 😁 Kurze Zeit später halte ich meinen Entlassbrief in den Händen und mache mich auf den Weg zum Ausgang. Unterwegs fragen mich einige des Stationspersonals, ob es für mich nach Hause ginge. Alle freuen sich für mich, machen aber auch einen traurigen Eindruck. Ich hab mich immer sehr wohl gefühlt bei meinen Aufenthalten. Ich werde bestimmt nochmal zurückkehren, wenn die Ausgangsbeschränkungen gelockert werden. Ein paar Süßigkeiten abliefern.

Um 10:30 Uhr rollen meine Mädels auf den Vorplatz der Klinik. Jetzt aber nix wie ab nach Hause. Ab in die Freiheit.

Am ersten Tag in Freiheit verschaffe ich mir erstmal einen Überblick über alles was so liegen geblieben ist. Nachmittags grillen wir im Garten. Unser alter Holzkohlegrill mit seinem verborgenen Rost in Kombination mit meinen Zitterpfötchen geht mir auf den Keks. Bei jedem Grillen landet mindestens ein Würstchen in der Kohle oder im Dreck. Da muss mal was neues her. Abends schauen wir alle zusammen die neue Realverfilmung von Disney‘s Aladdin. Wir kommen bis zur Hälfte, dann sind die Mädels müde. Es ist 22:30 Uhr und wir treten alle unseren Matratzenhorchdienst an. Ich bin immernoch im Klinikmodus. Zwischen 2:00 und 4:00 Uhr ging da immer mal die Tür auf und jemand kontrollierte ob alles in Ordnung ist. Das ist bei mir noch drin. Zwischen 23:30 Uhr und 3:00 Uhr bin ich wach. Ich schau eine Dokumentation über die Titanic und Atlantis. Danach lege ich mich wieder hin.

Der Mittwoch hat keinen festen Ablauf. Ich lasse mich etwas treiben. Die Mädels machen Hausaufgaben, Alex ist im Homeoffice beschäftigt.

Nachmittags mache ich mich mit Maxima auf den Weg vor die Tore Hamburgs. Ich habe auf eBay Kleinanzeigen einen Gasgrill entdeckt, der einen leichten Brandschaden hat, technisch aber top in Schuss ist. Ich wollte ja schon lange einen Gasgrill haben, die Anschaffungskosten waren mir aber immer zu hoch. Jetzt wollte ich mir aber doch auch selbst mal eine Freude machen. Und gebracht und mit optischen Mängeln sind die Teile dann auch echt erschwinglich.

Gegen 20:00 Uhr sind wir zurück und schauen den Rest von Aladdin. Danach schlafe ich dieses Mal bei Lara mit im Zimmer.

Der Donnerstag startet auch eher entspannt ohne Großsegeln To-Dos. Ich erledige einige Einkäufe und bin erneut enttäuscht über meine schlechte Kondition. Es sind nur 200m bis zum Penny. Aber mit zwei Einkaufstüten beladen sind sie eine ganz schöne Herausforderung.

Nachmittags geht es noch kurz zu Bauhaus, eine Gasflasche für den Grill besorgt und dann ab in den Garten. Den Abend lassen wir dann bei Pets 2 ausklingen. Dieses Mal darf Maxima bei mir schlafen. Ich schlafe eigentlich gut, wache aber 3x schweißgebadet auf und muss Bettlaken und Shirt wechseln. Ich nehme an, mein Körper treibt jetzt das vom Cortison eingelagerte Wasser aus. Denn ich muss auch 3x „aufs Töpfchen“.

Wir werden den Tag wieder im Garten verbringen.

(B)LOGBUCHEINTRAG VOM 05.04.2020: Der Moment, der mich hilflos zurücklässt.

Der Moment, der mich zutiefst hilflos und verunsichert zurücklässt: Es ist um und bei 3:20 Uhr. Bis 01:40 Uhr liege ich wach, da mein Zimmergenosse ununterbrochen gequälte Geräusche von sich gibt. Stöhnen, rülpsen, schnaufen. Am Nachmittag war ein Internist da und hat mit ihm über eine Nierenpunktion gesprochen, die dann auch direkt durchgeführt wurde. Zu groß sei das Risiko, dass der Patient sonst seinen zu schlechten Nierenwerten erliegen könne. Während die OP stattfindet, bin ich ein paar kleinere Besorgungen machen. Als ich zurück komme, ist auch die OP bereits beendet und mein Zimmergenosse wieder auf dem Zimmer. Ich habe das Gefühl, die OP hätte ihm geholfen. Er wirkt etwas wacher, schläft nicht mehr nahezu 22 Stunden am Tag. Er spricht mich sogar einmal an und bittet mich, ihm sein Handy zu geben, dass vor der OP von jemandem ungünstig abgelegt wurde. Ich gebe ihm das Telefon und frage ihn, ob es ihm soweit gut gehe. Er sagt: „Ja.“.

Gegen 22:30 Uhr schalte ich meinen Film und den Laptop aus und versuche zu schlafen. Es fällt mir schwer, denn mein Zimmergenosse schnauft trotz besseren Gefühls noch sehr. Ich stecke mir meine Kopfhörer ins Ohr und höre meine „Fighting“-Playlist. Um 2:32 Uhr schaue ich nochmal auf die Uhr, stelle meinen Sleeptimer der Playlist noch einmal eine Stunde weiter. Um 3:20 Uhr werde ich von der Nachtschwester geweckt. Ich solle bitte einmal das Zimmer verlassen. Ich folge der Aufforderung. Als ich mich schlaftrunken und taumelnd auf den Weg zum Flur mache, bemerke ich: Es ist mucksmäuschenstill in unserem Zimmer. Ich ahne schreckliches als ich mich im Wartezimmer niederlasse. Mehrtöniges Piepen auf dem Flur setzt ein, die Schwester telefoniert angespannt, läuft mit einem Notfallkoffer über den Flur. Einige Minuten später kommt ein Bereitschaftsarzt in aller Seelenruhe auf die Station. Ich bin mir unsicher, welcher Eindruck bei mir überwiegt: finde ich es eher makaber oder befremdlich? Im Fernsehen kommen die Ärzte immer angelaufen und sind eher hektisch. Um 3:40 Uhr ist der Spuk vorbei. Die Nachtschwester sagt, ich könne heute Nacht in Zimmer 32 schlafen. Das ist der Raum in dem die Eingangsuntersuchungen und Blutabnahmen durchgeführt werden und in dem ich immer zu Beginn eines jeden Zyklusses die Portnadel gesetzt bekomme. Auf meine Frage was los sei, bekomme ich nüchtern und in gefasstem Ton mitgeteilt: „Er ist tot.“.

Da ist er: Der Moment, der mich zutiefst hilflos und verunsichert zurücklässt. Der mich erneut erkennen lässt, wie wertvoll das Leben ist. Der mich aber auch in Gedanken und Unsicherheit gefangen hält: „Ist es meine Schuld? Hätte das verhindert werden können, wenn ich keine Kopfhörer im Ohr gehabt hätte?“. Auf der anderen Seite habe ich trotz Kopfhörer die Geräusche meines Mitpatienten gehört, als ich noch wach war. Um und bei 2:20 Uhr hat er noch ein Schmerzmittel bekommen, danach wurde er ruhiger und ich muss dann auch kurze Zeit später weggedöst sein. Ich habe ja nicht einmal mitbekommen, dass das Licht in unserem Zimmer eingeschaltet wurde. Es gibt mir etwas Trost, dass er scheinbar während seiner letzten Momente nicht gekämpft und gelitten hat. Er ist friedlich neben mir eingeschlafen. In einem Abstand von 2 Metern.

Mein Übergangszimmer 32 hat keine Toilette. Ich benutze das WC auf dem Flur. Ich höre die Nachtschwester und eine Kollegin lachen und bewundere die Professionalität mit der Pflegepersonal Anfang/Mitte 20 mit diesen Verlusten umgeht. Mich treibt es anscheinend mehr um. Mit Mitte 30. Vielleicht liegt es aber auch genau daran. Bei mir ist der „Ernst des Lebens“ einfach schon größer und älter. „The Show must go on“ scheint die Devise im Klinikalltag zu sein. Ein Song von Queen, der sich auch in meiner Playlist findet. Zum Todeszeitpunkt meines Zimmergenossen muss „Neuanfang“ von Clueso gelaufen sein.

Die Nachtschwester wünscht mir: „Schlaf gut!“. Da ist sie wieder, die Professionalität und die Distanz zu Einzelschicksalen. Ich weiß nicht mal, ob ich überhaupt noch einmal schlafen werde heute Nacht. So viel geht mir durch den Kopf. Wie surreal es ist, dass der Tod bereits neben mir im Zimmer stand. Hat er mich gesehen? Wie wenig Hektik in solchen, für mich, Ausnahmesituationen unter dem Personal entsteht. Wie professionell sie sowas abhaken. Wie schnell man zum „Neuanfang“ übergeht. Ich werde jetzt versuchen, doch noch ein wenig zu schlafen. Mittlerweile ist es 4:34 Uhr. Aber eins steht für mich fest: auch für mich wird diese Nacht mit all ihren schrecklichen Erlebnissen einen Neuanfang einläuten. Einen in ein bewussteres und achtsameres Leben.

Ruhe in Frieden, K. J..

(B)LOGBUCHEINTRAG VOM 02.04.2020: VIP-Treatment bei der Portnadel, die letzte Chemoinfusion und psychisch belastende Zustände

Heute ist er also. Der Tag an dem ich die letzte Chemoinfusion bekomme. Ich bin überglücklich.

Der Name ist natürlich mal wieder nicht ganz richtig. Aber das kenne ich ja nun schon seit Jahrzehnten. 😁

Vorher brauche ich aber erstmal eine neue Portnadel. Letzte Woche ist die alte nämlich verrutscht und saß nicht mehr richtig, so dass sie gezogen wurde. Heute gab es dann also eine neue. Das ist immer wieder ein Erlebnis. Da kriege ich für meine Kassenbeiträge immer was geboten. Spaß beiseite: ich bin extrem erfreut, dass wir in Deutschland auf das Gesundheitssystem zurückgreifen können, wie wir es haben. Da hat der alte Bismarck damals schon einen guten Einfall gehabt. Kleine Notiz an mich: sobald ich entlassen bin, hebe ich das Glas auf Bismarck! Mit einem Glas Bismarck-Mineralwasser und einem Bismarckhering. Zum Abgang dann einen Bismarck Kornbrand. „Für den aufgebrauchten Spiritus“, wie Bismarck gesagt haben soll, nachdem er nach anstrengenden geistigen Überlegungen beim Essen wieder kulinarisch Kraft(stoff) nachgetankt hat. Aber ich schweife mal wieder ab. Zum Glück bin ich kein Hochschuldozent. Meine Studenten würden zwar viel lernen, aber nix, was sie brauchen. 😂 Portnadel setzen. Bereits nach dem Ziehen der alten Nadel letzte Woche wurde eine neue eingesetzt und versucht, Blut zu zapfen. Ohne Erfolg. Nichts kam raus, das was reinging, landete im umliegenden Gewebe. Nicht so optimal. Also erstmal Kommando zurück. Keine Portnadel, Blutentnahme über Armvene. Heute also der zweite Versuch. Die 20er Nadeln scheinen durch die Wassereinlagerungen „dank“ des Cortisons zu kurz geworden zu sein. Somit probieren wir es mit einer 25er. Klappt nicht. Der Pfleger und die Schwester bitten die zwei Ärzte hinzu, die gerade zur Visite bei meinem Zimmergenossen waren. Mit vereinten Kräften 3 anpackender und einer zuschauenden medizinischen Fachkraft siegt erneut der Mensch über die Materie und die Nadel sitzt. Es kann also losgehen. Erst ein bisschen Blut abgeben, dann etwas Bleomycin und im Anschluss Vincristin. Zuvor gab es noch Fenistil intravenös. Das haut gut rein und macht extrem müde. Ich schlafe also von 9:00 Uhr bis 11:00 Uhr und von 12:30 bis 14:00 Uhr noch einmal. Nicht sehr feierlich, wie ich meine letzte Infusion begehe.

Der Rest des Tages wird auch nicht schwungvoller. Ich widme mich der Abarbeitung des Marvel Comic Universe, beende meine Beziehung zu Agent Carter, lerne (erneut) Tony Stark kennen und werde Zeuge wie der grüne Hulk alles in Schutt und Asche legt – alter Choleriker!

Stichwort: Tony Stark. Im zweiten Teil von Iron Man hat Tesla-Chef Elon Musk einen kurzen Cameo-Auftritt. Das erinnert mich daran, dass ich noch auflösen muss, dass Tesla Daimler NICHT gekauft hat. Das war mein diesjähriger Aprilscherz. Mal was anderes als das ewige „ich hab mein Auto kaputtgefahren!“. Glaubt mir eh derzeit keiner.

Ansonsten sehne ich den Tag herbei an dem ich entlassen werde. Mein Zimmergenosse schläft den ganzen Tag und ist enorm handlungseingeschränkt. Toilettengänge sind für ihn nicht mehr allein zu bewältigen. Er ist auf einen Toilettenstuhl und das Personal der Station angewiesen. Einmal hat er es versucht, allein auf die Toilette zu gehen. Dabei ist leider eine gute Menge des Blut-/Kochsalz-Gemischs aus seinem Katheter überall auf dem Weg zwischen Bett und Bad gelandet. Diese Bilder, zusammen mit den gequälten Geräuschen aus Stöhnen, Grunzen, Schnaufen aus meinem Zimmer und pausenloser Rufe um „Hilfe, Hilfe“ oder „Hallo, Hallo“, die eine andere Patientin pausenlos absetzt, weil sie nicht alleine sein möchte, machen den Alltag momentan nur schwer erträglich. Aber es ist bald geschafft. Ich hoffe am Montag! Haltet die Daumen! Bis dann!

(B)LOGBUCHEINTRAG VOM 30.03. BIS 01.04.2020: Abschied, Anstrengungen und automobile Übernahmen.

In Ermangelung an Abwechslung und spektakulärer Ereignisse folgt nun erneut ein Wrapup der letzten drei Tage.

Die Blutwerte und mein Befinden der letzten 3 Tage waren allesamt im grünen Bereich. Am Montag habe ich Besuch (draußen vor der Klinik) von meiner Schwester bekommen. Zusammen haben wir eine kurze Wanderung (jeweils 700 m zum Supermarkt und zurück) unternommen und über alles mögliche gequatscht. Mehr zur Wanderung zum Mount Rewerest später noch einmal.

Ansonsten wurde mein bisheriger Zimmergenosse Klaus heute (01.04.2020) entlassen – kein Aprilscherz. Schade. Ich hab mich gut mit ihm verstanden und wir konnten über alle möglichen und unmöglichen Themen reden. Um der Langeweile in meiner Einzelsuite zu entgehen, beschloss ich, heute erneut eine Besteigung des Mount Rewerest zu wagen. Dieses Mal allein. Der Mount Rewerest in Hamburg ist zwar nur ein 700er und liegt im direkten Einzugsbereich meines Basislagers im AK Barmbek. Aber auch die 700 m Distanz reichen derzeit aus, um sich anzufühlen wie ein HIIT. Nach 2x 700m Spaziergang bin ich durch das ganze Chemogift in meinem Körper derart durchgeschwitzt, dass ich mich duschen muss. Mein „Vollschutz“, bestehend aus Mundmaske, Mundtuch und Einweghandschuhen macht diesen Umstand nicht viel besser. Ich komme mir vor wie ein saftiges Steak… – ich mariniere im eigenen Saft…

Ziel meines heutigen Shoppingtrips zum Mt. Rewerest ist die Versorgung mit getrocknetem Rindfleisch. Ich möchte in diesem Zyklus testen, ob das getrocknete Rindfleisch, ob des Eisengehalts, in Kombination mit Vitamin C und roten Säften das Absacken des Blutbildes verringert. Alles im Sinne der Wissenschaft – selbstlos als Versuchskarnickel. Ich werde über die Ergebnisse meiner Testreihe hier auf diesem Wissenschaftsblog berichten.

Á propos (Wissenschafts-)Blog. Seit Beginn dieser Woche bin ich auch offizieller Teil des ehrenamtlichen Blogteams von Cancer Unites (www.cancerunites.de) und vorerst für die Bearbeitung und Verschriftlichung der CU-Thementalks zuständig, die immer freitags auf dem Instagram-Kanal von CU stattfinden.

Nach meiner Rückkehr vom Mt. Rewerest werde ich „umgebettet“. Ich ziehe in ein neues Zimmer, da ansonsten eine Misch-Belegung aus jungem 35-jährigem Männchen (mir) und einem etwa 50-jährigen Weibchen (nicht ich) unvermeidbar gewesen wäre, was in den Statuten einer regelkonformen Onkologiestation anscheinend nicht vorgesehen ist. Ich fühle mich dessen allerdings auch wie ein Basketball – ich bin „dunkbar“ – sorry, der musste sein! Ich ziehe also nun von Suite 19 in Suite 25. Mein neuer Zimmergenosse ist auch nett, aber selten ansprechbar. Er bekommt das volle Programm – Chemo- und Bluttransfusionen und schläft daher viel. Erneut bin ich froh, dass mir das erspart bleibt. Man entwickelt eine ungeheure Dankbarkeit für Dinge, die vormals nie im Fokus auftauchten.

Eine Sensation scheint sich auf dem Automobilsektor anzubahnen. Mehrere Quellen berichten, dass Tesla eine Mehrheitseignerschaft an Daimler übernommen haben soll. Spannend. Viele Skeptiker sagen: „Daimler würde sich nie verkaufen lassen!“. Das habe ich mal zum Anlass genommen und mir die Aktionärsstruktur von Daimler angesehen. Und siehe da: Daimler gehört augenscheinlich schon längerem einem chinesischen Investor. Nun anscheinend einem Amerikanischen. Bleiben wir gespannt. Ich werde noch ein wenig durchs Marvel Universe pilgern und die Rettung der Welt durch Agent Carter verfolgen. Bis später!

(B)LOGBUCHEINTRAG VOM 27.03.2020 bis 29.03.2020: Besuchsverbot und bekloppte Menschen

Momentan gibt es nicht so richtig viel zu erzählen. Der Klinikalltag ist aktuell nicht wirklich spannend. Die Highlight beschränken sich auf:

  • Vitalwertmessung (alles soweit im grünen Bereich)
  • Frühstück (sogar einigermaßen lecker)
  • Zweites Frühstück (in Pillenform)
  • Zeitvertreib bis zum Mittagessen
  • Mittagessen
  • Zeitvertreib bis zum Abendessen
  • Abendessen (kein wirkliches Highlight)

Ich bin froh, dass ich einen recht guten Draht zu dem Klinikpersonal habe. So gibt es wenigstens ab und an einen kleinen Plausch zwischendurch. Aucj wenn ich mir manch eine Info ersparen würde. So zum Beispiel die, dass die Schwestern am Freitag lecker Pizza bestellt haben, während ich sowas wie geschredderte Trennscheiben als sogenanntes „Brot“ verkauft bekam. Ich hab die Schwestern daraufhin erstmal erzogen. Kommenden Freitag bestellen wir gemeinsam Pizza! 😁

Ansonsten ist hier nach wie vor Ausnahmezustand. Die Schwestern und Ärzte freut es, können sie so doch ihren Job ruhiger und entspannter angehen, ohne die Besucher der Patienten, von denen ein Großteil doch eher nörgelt und seinen Frust am Personal ablässt. Für mich ist es eher schwierig. Eigentlich wollte ich mich ab und an mit meinen Lieben vor der Klinik treffen. Wir haben das aber aus Sicherheitsgründen nun auf Eis gelegt. Also bleibt für mich aktuell nur schreiben, Videotelefonate, Gespräche mit meinem Zimmergenossen, mit dem ich zum Glück auch sehr gut auskomme und Filme und Serien streamen. Derzeit arbeite ich die Marvel-Geschichten in chronologischer Reihenfolge ab. Wen es interessiert:

Das ist allemal besser, als mich weiter durch die sozialen Medien zu scrollen. Denn von Tag zu Tag muss ich mich da leider öfter fragen, wie es der Mensch aus der Höhle geschafft hat und wann er den Weg dorthin zurück wieder angetreten hat. Was da an dümmlichsten Aussagen konzentriert auf kleinstem Raum zusammenkommt, spottet jeder Beschreibung. Medienartikel werden nur zum Teil gelesen und dann auch nur soweit, dass es für die Lämmer angenehm bleibt. Das beste Beispiel: in Schweden geht das Leben größtenteils normal weiter. Bars, Kneipen, Restaurants usw.: alles noch auf. Daraufhin entblöden sich die ersten deutschen Wohlstandslämmer in einer Vehemenz, dass es eine Art hat. „Die wissen wie man‘s richtig macht!“ oder „Ich geh nach Schweden!“ sind die meistgetroffenen Aussagen. Das Stockholm mit seiner knappen Million an Einwohnern aber schon mindestens 60 Coronatote beklagen muss, überlesen die „Bekloppten und Bescheuerten“, um es mit Dietmar Wischmeyer zu sagen, geflissentlich. Zum Vergleich: Hamburg mit knapp 1,5 Mio Einwohnern hat Stand gestern, 15:00 Uhr, 4 Tote zu beklagen. Berlin mit 3,5 Mio. Einwohnern 9 Tote. Was für mich dennoch 13 zu viel sind. Aber macht ihr mal, geht ruhig nach Schweden… 🤦‍♂️

So, ich hab mich genug aufgeregt. Ich geh nicht nach Schweden, ich geh nach Netflixhausen.

Bis später!