Kurz nach dem Frühstück läuft mir Hr. Dr. auf dem Flur in die Arme. Ich frage ihn: „Na, wie sehen die Blutwerte aus?“ Er sagt, er habe die Ergebnisse noch nicht gesehen. Auf meine Frage, ob ich denn morgen oder übermorgen entlassen würde, wenn die Werte gut aussähen, antwortet er: „Wenn die Werte gut sind, entlasse ich Sie spätestens morgen!“. Wenig später steht er im Zimmer und sagt: „Sie können heute gehen!“. Mit einer Geschwindigkeit auf die selbst QuickSilver von Marvel und the Flash aus dem DC Universe neidisch wären, packe ich meine Sachen. Am Tresen nehme ich meine Pillenration für den morgigen Tag entgegen. Der wäre ja eigentlich noch regulärer Therapietag gewesen. Am Empfangstresen tausche ich ein Stück Marzipan, Schokoladencrossies und andere Süßigkeiten gegen meinen Arztbrief und die Liegebescheinigung.
Bei der Beschriftung ist mir leider ein kleiner Fehler unterlaufen. Sind natürlich 2/4 bzw. 2/6 Chemos done. Nicht 2/7.
Dann nix wie ab nach Hause. 20 Minuten später klingele ich zuhause und alle sind überrascht und überglücklich. Meine Große ist leider krank und musste heute mit Fieber zuhause bleiben. Sauber! Kann ich direkt austesten, was meine neu gebildeten Leukozyten und Neutrophilen so abkönnen. Wir wollen es uns ja auch nicht zu einfach machen. Als erstes räume ich alle meine Sachen weg. Das ist wichtig für mich, weil es mir symbolisiert, dass Zyklus II nun offiziell in den Büchern ist und ich jetzt erstmal wieder „frei“ habe.
Später nutze ich die Gelegenheit, um den Einkauf zu erledigen. Die Mädels wünschen sich Fischstäbchen und Kartoffelpüree zum Mittag. Ich hab Verlangen nach den fantastischen Penne Bolognese meiner Süßen. Zur Feier des Tages kocht sie beides. Beim Einkaufen nehme ich direkt auch noch frischen Joghurt, Obst und Gemüse mit. Für das Abendessen habe ich einen Japps auf Bratwurst, Kartoffel- und Gurkensalat.
Nach dem Essen ist kuscheln angesagt. Die Große mit Mütze, wegen des Infekts friert sie die ganze Zeit. Wird Zeit, dass der immerwarme Daddy sie wieder warmkuschelt. Ging ja lange genug nicht.
Kuschelzeit. Endlich wieder. Das Shirt hab ich von Steven Rogers abgestaubt. Der Kopf ist eher die bleiche Version vom Red Skull. 😂
Nach und nach schlummern alle kurz ein. Nur ich kämpfe mich tapfer durch die Folge Baywatch aus Nitro.
Am Nachmittag spielen Lara und ich „Lotti Karotti“.
Wir haben uns am Ende auf ein Unentschieden geeinigt.
Während Alex sich beim Sport austobt, kümmere ich mich um das Abendessen.
Danach kommt unser Nachbar Mathias hoch und wir geben uns einer intensiven Runde FIFA 20 hin. Ich habe mir eine ziemliche Heimschwäche zugelegt. Am Ende spricht die Statistik im klassischen Anstoß bei 1:0 gegen mich, im Volta-Modus sogar 6:3 gegen den 1. FC van Hecklundt.
Schlafen werde ich heute im Kinderzimmer von Lara. Sie hat es sich gewünscht. Wir hören „Wendy“ zum Einschlafen. 😁👍
Heute ist Rosenmontag. Ich hab beschlossen, mich als Krebspatient zu verkleiden. Ich bekomme von zuhause Bilder der Mädels geschickt. Maxima, wie ihr am Namen erraten könnt, meine große Tochter geht als HipHop-Mädel und Lara, meine jüngste als Indianerin. Bin gespannt, ob das Theater gibt, wegen Diskriminierung von Minderheiten und so. Ist ja leider so heutzutage. Auf jeden Fall fasst mich heute alles irgendwie an und ich bin tief emotional. Chemokoller würde ich es vielleicht am ehesten nennen. Aber hey, sind ja nur noch 3 Tage, dann ist erstmal eine Woche Ruhe. Die Bilder bringen mich auf jeden Fall das erste mal heute zum heulen. Weil ich nicht bei ihnen sein kann, wenn sie sich verkleiden, schminken, schick machen.
Heute Nacht hatte ich Rückenschmerzen. Nierenschmerzen, um genauer zu sein. Das hatte ich im ersten Zyklus auch. Zwischen dem neunten und zehnten Tag scheinen die abgestorbenen Zellen alle ausgespült zu werden. Das geht auf die Nieren. Aber in diesem Zyklus ist es wenigsten soweit erträglich, dass ich keine Schmerzmittel brauche. Das ist doch positiv!
Frühstück das übliche. Brötchen, Aufschnitt, Marmelade, Nutella, Joghurt, Tee.
Wenig später lese ich bei t-online, dass Mia des Vries, wahrscheinlich Deutschlands bekannteste Krebsbloggerin, nach über 3 Jahren in der Nacht auf den 23.02.2020 den Kampf verloren hat und verstorben ist. Ich heule das zweite mal heute wie ein Schlosshund. Ich kannte Mia nicht persönlich, aber ich kann nachvollziehen, wie es ihrer Familie geht. Und ich frage mich, für welche Seite es schwerer sein muss. Für die Seite die geht, also für Mia, die sich von ihrem kleinen Sohn verabschieden muss, mit dem Wissen nicht mitzuerleben, wie er eingeschult wird, was er zu Karneval als Kostüm wählen wird und ihm nicht bei den Hausaufgaben helfen zu können, oder für die Seite, die verliert, also für ihren Mann, ihren Sohn, ihre Familie. Ich kondoliere Mia‘s Mann über die sozialen Medien und bestärke ihn, weiterzukämpfen. Es ist mir ein Bedürfnis, das zum Ausdruck zu bringen. Ich bin halt gerade irgendwie sentimental.
Das Mittagessen ist auch eher wenig spektakulär: eine Bratwurst mit Sauerkraut und Kartoffelpüree.
Nach dem Mittag bekomme ich den allmontäglichen Besuch meiner ältesten Schwester! Das hilft mir immer. Wir gehen einmal um den großen Pudding, also den etwas größeren Radius ums Klinikum und quatschen über alles mögliche. Unter anderem auch über all das, was ich oben schon beschrieb.
Um 15:30 Uhr stehen meine Mädels auf der Matte. Lara ist immer noch als Indianermädchen verkleidet – so süß. Wir kuscheln und quatschen, lachen und amüsieren uns. Um kurz vor 17:00 müssen wir uns dann leider wieder trennen.
Für mich gibt es heute nur noch Abendessen und Filme. Ich werd mir mal die Neuverfilmung von Stephen King‘s „Es“ antun. Mal sehen, wie der so ist.
Rahmenlage rund um mich und wieso ich dieses Buch ausgewählt habe:
In meinem Leben spielte psychische Gesundheit und seelische Herausforderungen schon immer eine ziemlich große Rolle. Los ging es im Schulalter, als ich die ersten Erfahrungen mit Mobbing machen musste. Gerade in der Pubertät ist das immer ein schwieriges Thema, speziell wenn es um Gruppenzugehörigkeiten geht. Da war dann ein bestimmtes Hosen- oder Schuhmodell schon das Zünglein an der Waage und entschied, ob man „drin“ oder „draussen“ ist. Eine schwierige Zeit für mich, die wohl den Grundstein für meine Selbstzweifel legte. Oft fragte ich mich: „Bin ICH genug?“ „Was machen andere, was schaffen andere, was haben andere.“
Für eine lange Zeit schlummerten diese Selbstzweifel in mir. Bis mein Leben dann 2010/2011 einen ersten ernsten Umbruch erhalten sollen sollte. Viele Stützen in meinem Leben drohten wegzubrechen oder sollen zumindest einer gründlichen Renovierung unterzogen werden, damit sie nicht einstürzten.
Die Firma, bei der ich 2009 arbeitete, entschloss sich dazu, das Hamburger Büro zu schließen und es dafür nach Österreich zu verlegen. An sich kein Thema, für sich genommen, allerdings war zu der Zeit unsere erste Tochter „unterwegs“ und für uns stand die Unsicherheit im Raum, wie es für uns in Österreich sein sollte. Ungewissheiten, wie „Elterngeld in Österreich“, „Kindergeld in Österreich“, „Wohnungsmarkt in Salzburg“ standen auf unserer Liste. Das Unternehmen, das mich beschäftigte, tat sehr viel dafür mich zu halten und bat eine Stelle im Haupthaus in London an, was für uns aber die gleiche Problematik wie Österreich in grün war. Auch hier wussten wir nicht, wie die Dinge laufen würden, da wir ja in keine ausländische Kasse eingezahlt hatten. Auch die Ungewissheit, ob meine Süße im Ausland schnell einen neuen Job finden würde, ließ uns am Ende die Entscheidung treffen, in Hamburg zu bleiben. Somit musste also ein neuer Job her. Das zusammen mit der bevorstehenden Geburt unserer Tochter und der Verlust des Jobs in der sonst sehr chilligen, trendigen und jungen Firma sorgte für die ersten Risse in der Psyche und in der Seele. Somit stellte sich dann schleichend für mich die Diagnose „Depression“ ein. Ich begab mich in Expertenhände und wählte eine Gesprächstherapie beim Psychiater. Es stabilisierte mich etwas.
Der neue Job in einem Logistikunternehmen euphorisierte mich anfangs, sollte mich aber schnell wieder ausbrennen lassen, da unter anderem sowohl die Anfahrt zum Unternehmen immer mindestens 45 Minuten, zu Stoßzeiten auch mal 2 Stunden in Anspruch nehmen konnte. Hinzu kamen die Ungewissheiten hinsichtlich unserer Erstgeborenen. „Mache ich da alles richtig?“ „Bin ich ein guter Partner und Vater?“. Über kurz oder lang waren die Arbeitsbedingungen für mich echt kröftezehrend. Morgens um 5:00 Uhr aufstehen, um 5:40 Uhr losfahren, um um 6:30 Uhr im Büro zu sein, damit ich um 15:30 Uhr noch vor der Rush Hour wieder zurück bin, um um 16:30 Uhr wieder zuhaus zu sein. Im Idealfall. Also ohne Überstunden oder Stau. Oftmals waren die Arbeitstage all inkl. 12 Stunden lang. Danach möchte meine Partnerin ja verständlicherweise auch noch was von mir haben. Die Kraft schwand immer mehr. Einen kurzen Schub gab dann ein erneuter Jobwechsel mit weniger Anfahrtszeit und generell familienverträglicheren Arbeitszeiten. Dennoch kamen oftmals wieder die alten Leidsätze durch: „Ist das genug, was ich tue?“, „Muss ich mehr machen?“, „Was passiert, wenn ich ’nein‘ sage?“ Somit saß ich auch hier freitags teilweise bis 17:00 Uhr im Büro und die Familie, die mittlerweile seit 2012 aus zwei wunderbaren Töchtern bestand. So ging es dann bis 2017 noch gut. Dann musste ich aber doch die Reißleine ziehen und diesen Job quittieren, bevor er mich und die Familienzeit komplett einnehmen. Hilfe für die psychischen Belange holte ich mir in einem Tagesklinik-Aufenthalt, der mich auch wieder festigen sollte. Dadurch, dass ich den Abwärtstrend noch rechtzeitig erkannt habe, konnte ich hier gut aktiv mitarbeiten und war in der Lage alles ziemlich gut zu reflektieren. Somit konnte ich nach 5 Wochen Tagesklinik wieder gefestigt entlassen werden. Seitdem aber haben auch die Themen „Achtsamkeit“, „psychische Gesundheit“, „Auszeiten nehmen“ bei mir einen höheren Stellenwert eingenommen. Auch auf dem literarischen Gebiet.
Zum Buch UND DER AUTORIN:
Nova Meierhenrich kennen viele in meiner Altersklasse noch als quirlige Viva- und MTV-Moderatorin. Das waren damals Sender, auf denen Musik lief. Muss man vielen Lesern der heutigen Generation Smartphone ja erklären. 🙂 Aber auch abseits ihrer Moderatorinnentätigkeit hat Nova viel zu erzählen. Meine Familie und ich verfolgen ihr soziales Engagement nun schon eine Weile. Eher durch Zufall, denn sie ist auch Patin und Support für die Charity-Eventreihe „Kicken mit Herz“ hier in Hamburg. Somit stand für mich bereits bei der Vorankündigung ihres autobiografisch geprägten Werkes, in dem sie über die psychische Erkrankung ihres Vaters berichtet, fest, dass ich es umgehend lesen werde. Noch vor der Veröffentlichung bestellte es bei Amazon vor und war überrascht, zu den ersten Lesern gehören zu dürfen. Bereits am 29.09.2018 hielt ich mein Exemplar in den Händen. Also ziemlich genau eine Woche vor dem offiziellen Verkaufsstart. Und ich begann es umgehend zu verschlingen. 3 Tage später hatte ich es ausgelesen. Nova Meierhenrich beschreibt berührend, wie ihr Vater immer tiefer in eine schwere Depression abglitt. Gepaart mit fachlichem Zusatzinput von Dr. Mazda Adli, einem der bekanntesten Depressionsforscher Deutschlands, fesselt sie den Leser mit der bisher nicht dagewesenen Kombination persönlichem Erfahrungsbericht, der unter die Haut geht und wissenschaftlichen Fachaussagen und -angaben. Mich persönlich haben ihre Ausführungen sehr berührt, habe ich mich doch in vielen Handlungen ihres Vaters wiedererkannt. Sei es in der zunehmenden Isolation von der Aussenwelt und dem damit einhergehenden Verlust des Familienverbands. Aber auch mit der Euphorie mit der ihr Vater neue Projekte anging, diese aber schnell wieder unvollendet abbrechen musste. Unglaublich authentisch und mitreißend berichtet Nova von Co-Depressionen, die ihre Familie zusätzlich beutelten und bald die ganze Familie von dem Monster „Depression“ in Beschlag genommen wurde. Leider konnte ihre Familie ihren Vater vor den am Ende selbst gewählten Freitod retten. Aber vielleicht kann es Nova’s Buch. Für mich gehört ihr Werk auf jeden Fall ins Standardrepertoire jeder Tagesklinik und in jeden Haushalt in dem psychische Erkrankungen ein Thema sind. Für mich hat es auf jeden Fall viel getan und eine Menge in mir bewegt. Zum Großteil nur zum Positiven, so dass ich wesentlich entspannter durch meinen Alltag gehen kann.
Zum Buch auf Amazon in der gebundenen oder Kindle-Version geht es hier:
Gerade wenn man, wie ich, oft tage- oder wochenlang in der Klinik ausharren muss, kann einem das TV-Programm schnell zu öde werden. Da halfen und helfen mir gute Bücher immer weiter. Mittlerweile bin ich zwar nahezu vollständig auf Audible Hörbücher umgeswitcht, weil es einfach komfortabler und teilweise auch sicherer ist. Ein Hörbuch lässt sich im Straßenverkehr besser handhaben als ein Hardcover! 😀
Ich werde hier also nach und nach alles mal so reinhauen, was ich so literarisch verschlungen habe. Egal, ob in der Klinik während der Chemos oder zuhause in den Erholungspausen oder unterwegs oder oder oder. In jedem Beitrag werde ich dann auch die Werke entsprechend verlinken, damit jeder, der sich damit auch weiter befassen möchte, genau weiß, welches Exemplar ich anspreche. Ich werde versuchen, in regelmäßigen Abständen neuen Input in Sachen Lektüre zu geben. Um euch aber auch nicht täglich mit neuem Lesematerial zuzuspammen, werde ich Schmökertipps aber vorrangig am Schmökersonntag rausgeben!
Mein Schlafrhythmus ist immer noch sehr merkwürdig. Klar, ich bin auch häufig wach, weil mein Zimmergenosse Joachim ordentlich schnarcht, aber auch so bin ich zu Zeiten müde oder wach, die sonst nicht so normal sind. Müde werde ich meist erst recht spät, zwischen 23:00 Uhr und Mitternacht. Dann schlafe ich so bis ca. 04:00 Uhr. Meist vorher mit einer Unterbrechung für die Toilette. Ich muss ja auch viel Trinken um die Nieren zu entlasten. Das treibt mich nachts auch mal raus. Ab 04:00 Uhr bin ich dann meist wach, versuche aber mit ruhiger Musik noch mal zum Einschlafen zu finden. Am besten hilft da im Moment das Album „Una Mattina“ von Ludovico Einaudi. Für alle, die sich fragen wer das ist: den ersten Track werden viele von euch kennen, wenn ihr den Film „Ziemlich beste Freunde“ gesehen habt. Das ist da nämlich auch der Titeltrack. Aber auch die restlichen 12 Songs sind sehr melodisch und mit der beruhigenden Wirkung, wie sie meiner Meinung nach nur ein Piano hinbekommen kann. Beides also von meiner Seite ein klarer Entertainment-Tipp: Ziemlich beste Freunde und Una Mattina von Ludovico Einaudi.
Heute gab es aber zum Weiterschlummern was handfesteres. Ich bin ja bekennender Thriller-Fan. Ganz oben auf meiner Liste steht so ziemlich alles von Sebastian Fitzek. Da ich von ihm aber wirklich schon alles durch habe, folgt danach dann direkt Andreas Winkelmann. Vom Schreibstil ist er dem von Fitzek ziemlich ähnlich, jedoch die Geografie liegt halt nicht in Berlin und Umland, sondern in Hamburg und Umgebung. Für mich als Bewohner der Hansestadt natürlich umso packender, da ich ja so auch den einen oder anderen Schauplatz auch kenne. Man schaut dann nach so einem Thriller mit anderen Augen auf die Kanäle der Stadt und was sich wohl alles unter der Wasseroberfläche befinden könnte. 😁 Entdeckt habe ich Andreas Winkelmann durch Zufall, da ich in meiner Audible-App nach Simon Jäger als Leser gesucht habe, der eben auch alle Fitzek-Bücher liest. Ich werde aber zukünftig mehr ausführliche Schmökertipps geben. Das führt hier sonst jetzt zu weit. 🤭
Um 8:30 geht es dann an die Vitalwerte. Und siehe da: der Blutdruck ist wieder zurück aus seiner kurzen Auszeit: 129/83. Geht doch! Temperatur: 36,3 Grad Celsius, Sauerstoffsättigung bei stabilen 98 %, Puls hab ich vergessen. Irgendwas paarundachtzig oder so.
Ich fühle mich langsam auf jeden Fall wieder recht fit. Die kommenden 4 Tage sind dann auch größtenteils nur noch zur Beobachtung angesetzt. Auch was die Wirkstoffseite angeht, bekomme ich jetzt nur noch Cortison, Magenschutz und Calcium für die Knochen. Chemomedikamente werden jetzt in diesem Zyklus keine mehr gereicht. Somit kann ich die Zeit jetzt wieder zum Kraft tanken nutzen. Ist auch nötig nach den anstrengenden letzten Tagen.
Danach gibt es auch Frühstück über das ich mich hermache, als hätte ich 3 Tage lang nichts gegessen. Dementsprechend sieht mein Tablett auch hinterher aus wie ein Schlachtfeld. 1,5 Brötchen mit Bierschinken, Salami, Marmelade, zwei Scheiben Brot mit Bierschinken, Salami, Käse und Tomate (die Brote habe ich noch von gestern Abend übrig gehabt), sowie ein Smoothie, ein kleiner Joghurt, eine Tasse Pfefferminztee und ein Glas Multivitaminsaft machen sich nun auf die Reise durch den Vergnügungspark, den ich meinen Körper nenne. Wohl bekomme der wilde Ritt.
Ansonsten passiert heute nicht viel. Nach dem Mittag kommt Alex mit den Kids vorbei. Wir genießen die gemeinsame Zeit im Innenhof, die Kids toben rum.
Danach widme ich mich noch ein wenig dem Blog und füttere die neue Kategorie „Schmökertipps“. Hier werde ich, wie schon angekündigt, zukünftig Bücher vorstellen, die mich begeistern konnten.
Heute startet der Tag mit Herausforderungen für mich. Seit vorgestern habe ich ja keine Portnadel mehr im Port, so dass Blut jetzt ganz normal über die Armvene gezapft wird. Die Nacht war schon irgendwie unruhig und anstrengend. Ich hab viel geschwitzt und war ziemlich viel wach.
Beim Blutabnehmen dann der Super-GAU für mich. Bereits beim Einstechen der Butterfly-Flügelkanüle merke ich, wie mir komisch wird. Ich sage der Schwester, das sich das alles gerade merkwürdig anfühlt und mir glaub ich schwindelig wird. Dann geht alles ganz schnell. Rauschen im Ohr, Hörlautstärke nimmt ab, so dass ich das Gefühl hab, dass ich noch Kopfhörer im Ohr hätte. Als nächstes erinnere ich mich nur noch, wie ein Pfleger und zwei Schwestern um mein Bett stehen, mir die Beine hochlagern und fragen: „Geht’s wieder?“. Geht wieder. Nur der Tinnitus nervt noch ein bisschen. Ich werde trotzdem noch etwas schlafen. Wenig später kommt dann auch die Blutdruckmessung: 98/66. An so einen niedrigen Blutdruck kann ich mich nicht erinnern. So einen Blutdrucktiefpunkt hatte ich glaub ich noch nie. Doch: beim Bund vielleicht einmal, nach dem Blut spenden. Da bin ich auch mal umgekippt. Da war ein Snickers einfach nicht genug Frühstück. Für morgen lasse ich auf jeden erst den Blutdruck messen, danach Blut abnehmen. Je nachdem, wie der Blutdruck aussieht.
Danach vegetiere ich den Rest des Tages in bester Meditationshaltung im Bett rum und schlummere immer mal wieder ein. Das Klinikpersonal hat mein Bettfußteil runter-, das Mittelteil hoch- und das Kopfteil auch hochgestellt. So liege ich wie ein Baby in bester Z-Stellung im Bett und döse vor mich hin.
Nachmittags klopft es an der Tür und meine Schwester Julia steht in der Tür. Welch schöne und unerwartete Überraschung. Sie und ihre Familie sind bei Freunden zu Gast und da wollte sie es sich nicht nehmen lassen, mir einen Besuch in meiner Genesungssuite abzustatten. Wir quatschen eine ganze Zeit lang über alles mögliche. Als sie aufbrechen will/muss gibt sie sich die Klinke mit meiner Süßen in die Hand.
Alex versorgt mich mit neuen Säften und hat auch ein paar Smoothies dabei. Schöne Erinnerungen werden wach. War die Herstellerfirma doch meine allererste Arbeitsstelle in HH.
Alex ist ohne die Kids gekommen. Meine große Tochter ist mit einer Freundin und ihrer Familie beim Schwimmen und wird auch da übernachten. Unsere Kleine ist bei einer Klassenkameradin. Auch sie schläft heute auswärts. Wie in einem anderen Beitrag schon mal geschrieben, versuchen wir halt, so weit wie möglich Normalität im Alltag beizubehalten. Und für Alex ist es vielleicht auch mal ganz gut, zuhause nur mit unserer Fellnase allein zu sein.
In der Klinik genießen wir gemeinsam die Smoothies und kuscheln in meinem Bett. Das hat mir sehr gefehlt.
Gegen Abend misst Pfleger Ben dann noch einmal meinen Blutdruck. Entwarnung: 115/80. Fast schon wieder Optimum. Damit kann ich dann beruhigt einschlafen. Bis morgen dann! 😁
Heute wird der Blogbeitrag wohl kürzer werden. Denn hier passiert heute nicht viel. Die Ärzte haben für heute keine Vitalwertmessungen eingeplant, also gibt’s dazu hier auch keinen Input. Werte waren ja glücklicherweise alle meist gut, so dass ich das als gutes Zeichen werte. Die Schwester ist leider enttäuscht darüber. Sie freut sich nämlich über jede Praxisübung im Blutabnehmen und hat heute extra mit dem Kollegen getauscht, weil ich gestern sagte, dass heute bei mir bestimmt wieder Blut entnommen wird, und das dann ja über die Vene, weil die Portnadel seit gestern ja nicht mehr in mir steckt. Naja, Pustekuchen. Tut mir leid für sie, ich find es okay heute mal nicht gestochen zu werden. Morgen dann aber.
Ansonsten bin ich momentan furchtbar müde. Gestern habe ich schon den ganzen Vormittag verschlafen, heute auch wieder. Ich steck mir dann immer meine Kopfhörer in die Ohren, lass meine Fighting-Playlist* auf Spotify laufen und dämmere dann weg. Heute kamen dann zur Müdigkeit auch noch die wirren Träume dazu und bildeten eine unheilige Allianz des Schwachsinns. 😂
Ich habe geträumt, dass ich in einer Art Penthouse liege (so wie sie Mr. Grey in 50 Shades of Grey bewohnt). Die „große Halle“ ist aber gestaltet wie ein Park. Mit Flußlandschaft und Brücke mit Geländer und so weiter. Ich schlummere halb liegend, halb sitzend auf einem flauschigen Teppich und döse vor mich hin. Später stehe ich auf, schnappe mir eine Designer-E-Gitarre, wie ich sie mal in einem Musikvideo von Michael und Janet Jackson gesehen habe und rocke ab.
Nach der Jam-Session bin ich wieder müde und schlummere weiter (also im Traum). Und jetzt wird es wirr. Ich träume, dass ich träume, aber gerne im Traum aufwachen möchte. Ich bin aber im Traum und im wahren Leben so müde, dass ich die Augen nicht aufbekomme. Der Kopf will aufwachen, der Körper sagt aber: „nein!“. Plötzlich steht eine Wandergruppe neben mir (im Traum) und bietet mir etwas zu trinken an. Dann wache ich auf. Im Traum und im Krankenzimmer. Krasses Zeug, was die mir hier geben.
Ansonsten erhalte ich viele Nachrichten mit positiven Genesungswünschen und bin immer noch total geflasht von der ganzen Unterstützung. Viele Menschen wünschen mir einfach nur Kraft, andere wiederum teilen mit mir ihre Erfahrungen und Geschichten und bestärken mich darin, weiter zu machen.
Ansonsten treffe ich mittlerweile vermehrt auf andere Krebsblogger und bin erstaunt, wie sehr diese doofe Krankheit doch zusammenschweißt. Besonders beachtlich finde ich die Geschichte des 21 jährigen Alex, der die Diagnose Knochenkrebs bekam und dadurch eines seiner Beine verlor. Seine Geschichte berührt mich doppelt, weil ich ja nun selbst weiß, was es heißt, Wochen oder gar Monate der Ungewissheit hinter sich zu bringen und auf der anderen Seite, weil er für sein abgenommenes Bein eine Hightech-Prothese bekam, die aus meiner alten Heimat kommt. Aber Alex scheint vor Lebensfreude zu sprühen und die Widrigkeiten beiseite zu schieben. Und das steckt an.
Später ist dann noch Visite. Herr Dr. teilt mir mit, dass die Blutwerte ganz gut aussehen, aber immer noch weiter einbrechen können. Wir werden das dann morgen kontrollieren. Was unseren Urlaub in KW 10/2020 angeht, macht er mir wenig Hoffnung, dass ich daran teilnehmen kann. In dem Zeitraum müssen wir PEt/CT, Blutwertkontrollen und einige Gespräche führen müssen, so dass ich dann wohl hier in Hamburg bleiben werde/muss.
Zwischen 17:00 und 20:00 sind Veit und seine Frau Nadine zu Besuch. Wir klönen dann immer im Innenhof und flachsen rum. Das tut sehr gut und es kommen immer wieder neue Wortspiele dabei raus. Ich lache viel. Ich lache auch gerne. Denn, wie wir alle wissen, ist lachen die beste Medizin – außer bei Durchfall! Aber auch tiefgründigere Dinge besprechen wir. So habe ich heute gelernt, woher der Krebs (also die Krankheit) seinen Namen hat und was sie mit dem Krebs (als Tier 🦀) gemeinsam hat. Dazu haben wir zwei Theorien erörtert:
Theorie 1: bereits in der altgriechichen Geschichte teilten sich zu Zeiten von Galenos von Pergamon im 2. Jahrhundert nach Chr. die Krankheit und das Tier den gleichen Namen. Das kam daher, das die alten Griechen in diesen frühchristlichen Zeiten die Krankheit bereits erforschten und entdeckten, dass die Venen, die durch Krebszellen verlaufen, an den Seiten austreten wie die Beine eines Krebses. Im genauen Wortlaut folgendermaßen:
„… und an der Brust sahen wir häufig Tumoren, die der Gestalt eines Krebses sehr ähnlich waren. So wie die Beine des Tieres an beiden Seiten des Körpers liegen, so verlassen die Venen den Tumor, der seiner Form nach dem Krebskörper gleicht.“
– Galenos von Pergamon
Aristoteles hingegen definierte Krebs als oberflächlich erkennbare, in benachbarte Organe übergreifende und einwachsende Geschwüre. Das bringt uns zu
Theorie 2: In der hat der Krebs seinen Namen vom Einsiedlerkrebs übernommen, der sich bekanntlich auch Muscheln und Muschelreste sucht, um sich darin einzunisten. Eben analog zum Krebstumor.
Jetzt werde ich wohl mal schauen, ob ich mir noch irgendeinen Film ansehe und dann werde ich die Augen für heute ruhen lassen.
20.02.2020. Wieder ein Tag, der nur aus 0 und 2 besteht. Kein richtiger digitaler Tag also, aber fast. So einen hatte ich am 02.02.2020 in Chemozyklus I schon mal. Es werden wahrscheinlich heute sehr viele Leute heiraten. Bei mir beginnt der Tag mit dem vollen Programm. Bereits vor dem Frühstück soll ich zur Lungenfunktionsprüfung. Da heute das Bleomycin verabreicht wird, das in jedem 4. Fall zu Lungenfibrose führen kann, soll ich prophylaktisch noch einmal meine Lungenwerte ermitteln lassen. Also watschel ich in die 4. Etage und stelle mich an der Anmeldung vor. Der Test geht eigentlich recht schnell. Ein paar Mal einatmen und ausatmen, dann ein paar mal alles mit Druck ausatmen und tiiiiiiiieeeeeef einatmen. Die Werte haben sich im Vergleich zur Eingangsmessung bereits leicht verschlechtert. Ob das besorgniserregend ist, werde ich später erfahren.
Sieht zwar aus wie in einem Tonstudio, ist aber nur der LuFuMat.
Dadurch, dass die Pneumologie im 4. Stock sitzt, bekomme ich auch mal das Heli-Pad zu Gesicht. Spannend.
Zurück von der LuFu-Prüfung gibt es erst einmal Frühstück. Heute nur ein Brötchen. Egal. Mit dem Kreislauf ist heute eh irgendwie kein Blumentopf zu gewinnen.
Einmal Kirschsaft, bitte!
Danach gibt es dann die Chemobeutel. Während die durchlaufen, mache ich noch etwas die Augen zu. Ich bin heute extrem im Eimer. Von 9:30 Uhr bis 13:00 Uhr schlafe ich immer mal wieder – mit Unterbrechungen. Visite ist zum Beispiel eine davon. Heute besucht mich Fr. Dr.. Hr. Dr. hat heute frei. Verdient! Was das Team hier für uns alle leistet, ist mit Worten nicht zu beschreiben. Die Werte der Lungenfunktion sind leicht gesunken. Aber immer noch im grünen Bereich. Darüber hinaus brechen die Blutwerte langsam ein. Mundschutz ist dann jetzt wieder angesagt. Im ersten Zyklus war das an Tag 9 soweit, dieses Mal schon an Tag 7. Der Körper ist also nicht mehr so kräftig wie in Zyklus I. Vielleicht hat es aber auch was gutes und die Werte fangen sich in 3 Tagen wieder und sind zurück im Normalbereich. Vielleicht kann ich dann eher entlassen werden?! Es wäre meine Hoffnung. Wir werden sehen.
Mein Kumpel Ulf hat für heute ein paar Freunde mitgebracht. Vin Christin (aka Vincristin), Fenix Stilone (aka Fenistil) und Jony Steril (auch unter Jonosteril bekannt). Dazwischen gab es noch kurz Besuch bin B. Leo Mycin (Bleomycin, das Zeug das so auf die Lunge gehen kann. Ich finde, mit menschlicheren Namen klingen die gar nicht mehr so gefährlich). Alle 4 wollen heute mal eine Begehung durch mein Venensystem durchführen.
Um 15:00 Uhr bekomme ich Besuch von meiner süßen Alex. Sie hat noch ihre Frühstückshaferflocken mit Milch und Weintrauben in der Tasche. Früher hätte sie die gern behalten dürfen. Heute feiere ich diese Mahlzeit wie den Heiligen Gral. Sie fragt mich, ob ich die Portion haben möchte. Klar möchte ich! Ich lasse mir, sobald sie wieder nach Hause zu unseren Kids aufgebrochen ist, von den Schwestern noch zwei kleine Becher mit Apfel- und Apfel-Banane-Dessert geben und mische es dazu. Das bildliche Ergebnis erspare ich dir. Sah nämlich aus, wie schon einmal gegessen. Aber es hat geschmeckt. Das kannst du dir nicht vorstellen. Schnöde Haferflocken, mit Milch. Und Apfelmus und Weintrauben. Verrückt. Und dann auch schon den ganzen Tag in der Milch mariniert. Aber es sind die simplen und natürlichen Dinge, die mir momentan am meisten schmecken. Alles andere schmeckt nach Spülwasser oder einfach nur fad. Schon komisch, was die Medikamente mit den Sinnen machen. Der Geschmack ist runtergefahren, bevorzugt Naturkost, der Gehörsinn ist derart geschärft, dass ich jeden Maulwurf unter der Erde pupsen höre und der Geruchssinn ist so sensibel, dass ich mich bei der Desinfektion des Ports immer abwenden muss, weil mir sonst schlecht wird. Aber für mich sind das alles Zeichen, dass die Medikamente auch eine Wirkung haben.
Sind sie nicht süß, meine zwei kleinen?
Damit verabschiede ich mich für heute. Meine Anti-Thrombose-Spritze ist gesetzt, somit habe ich mein Tagwerk für heute erledigt. Ich werde wohl noch etwas Musik hören.
Was ich gestern noch vergessen habe: Klaus ist entlassen worden, hatte er ja so auch schon angekündigt. Kurz nachdem er die Klinik verlassen durfte, bekomme ich einen neuen Zimmergenossen. Ich hab seinen Namen leider momentan vergessen – wen wundert es? Ist ja wie im Taubenschlag hier. Nachts ist es bis 01:00 Uhr ruhig. Dann wieder etwas Tumult auf dem Flur. Ich verdächtige Herrn Sch. von nebenan. Die Nachtschwester wird mir später aber mitteilen, dass es dieses Mal wohl von der Nachbarstation kam. Mein neuer Zimmergenosse schnarcht. Ich habe Angst, dass er damit meinen Chemoständer „Ulf Braun“ zerlegt. Ich versiegele mir meine Ohren mit Kopfhörern und bin bemüht mit einem Hörbuch wieder ins Reich der Träume abzudriften. Es klappt einigermaßen.
Nach dem Frühstück kommt Herr Dr. zur Visite. Er möchte nochmal einen Lungenfunktionstest ansetzen, um auszuschließen, dass sich die Lungentätigkeit verschlechtert.
Um 12:00 Uhr bekomme ich dann Besuch von meiner Ma, mit im Gepäck ein paar Kreuzworträtsel und Eichsfelder Brot- und Wurstwaren (wahrscheinlich das eigentliche Geheimnis, wieso ich die ganze Behandlung hier einigermaßen gut wegstecke. 😁😉).
Ab Nachmittag ist dann wieder Zeit totschlagen angesagt. Erst morgen gibt es wieder flüssige Chemo, heute nur Tabletten, die sind erträglich. Morgen kommt dann nochmal das harte Zeug Bleomycin, das allerlei derbe Nebenwirkungen mit sich bringen kann. Lungenfibrose z. B. Danach geht es ab morgen auch wieder in die heiße Phase der Chemo in der das Blutbild kippt und die Blutplättchen und -körperchen zerfallen. Da ist dann wohl wieder höchste Vorsicht mit Mundschutz usw. geboten. Aber wird schon werden.
Wenn ich alleine bin, drehen sich die Gedankenkarussells. Wie geht es weiter? Wie viele Zyklen werden es wohl noch? Alles ungewiss. Auch beim Blick auf mein Konto frage ich mich, wie es weitergehen soll. 19.02. und trotzdem schon mit fast 400,-€ im Minus. Und jetzt? An das kleine Zukunftsdepot der Kinder gehen? Das wäre streng genommen Diebstahl, oder? Kann ich jemanden um Unterstützung bitten? Aber wen? Ich hab das ja nie gelernt. Andere um Hilfe zu bitten. Ich erinnere mich daran, dass viele meiner Freunde auf Facebook zu ihren Geburtstag so einen MoneyPool eingerichtet haben, in den jeder der möchte, was einzahlen kann. Egal ob für ein Geschenk oder als Spende für ein gemeinnütziges Projekt. Sollte ich das mal ausprobieren? Auf der anderen Seite: was sollen die Leute denken? Bettelst du etwa? Ist es soweit mit dir gekommen? Wirst du Anfeindungen ausgesetzt sein? Als Schmarotzer gelten? Ich wage es einfach mal.
Was dann passiert ist MEGASURREAL.
Mein ganzes Leben dachte ich: „Wieso sollte ausgerechnet dir jemand freiwillig helfen wollen?“ Oftmals hieß es in meiner Kindheit von allen Ecken: „Stell dich nicht so an, da musst du jetzt durch.“
Auch bis heute schien es mir nicht viel anders. Fernsehen habe ich mir hier in der Klinik schon größtenteils abgewöhnt, vor allem Nachrichten. Sieht man doch auf jedem Kanal größtenteils nur noch Leid und Hilflosigkeit.
Sowas verinnerlicht man dann und denkt sich, dass man sich überall allein durchkämpfen muss. Bis man dann an einen Punkt kommt, an dem es nicht mehr weitergeht.
Ich probiere es einfach mal, was soll schon schiefgehen. Und dann DAS! Ein megagroßes Zeichen der Solidarität schlägt mir entgegen. Innerhalb kürzester Zeit zeigen mir ein Haufen Leute, wofür ich hier gerade kämpfe. Eine megagroße Flut an solidarischer Unterstützung schlägt mir entgegen. Ich bekomme Nachrichten geschickt, viele teilen meinen Beitrag in ihren sozialen Netzwerken, Feunde, Bekannte, aber auch Menschen, die ich überhaupt nicht kenne, denen ich bislang nicht einmal über den Weg gelaufen bin. Sie alle feuern mich an, teilen meinen Beitrag, beteiligen sich an meinem MoneyPool, sagen, ich soll nicht aufgeben.
Zu Euren Spenden: ich bin jedem einzigen unendlich dankbar. Niemals im Leben hätte ich kleines Licht gedacht, so viel Unterstützung zu erfahren. Habe mich bei jedem der aktuell fast 50 Beiträge gefragt, ob ich das annehmen kann und darf. Was ich euch aber verspreche: ich werde damit sorgsam umgehen – und sparsam. Und wer weiß, vielleicht bleibt am Ende noch etwas übrig für mein nächstes Projekt: eine kleine Stiftung oder einen kleinen gemeinnützigen Verein, um auch Menschen zu unterstützen, die gerade ins Straucheln geraten. Sobald ich mit dem Krebsmist durch bin. Denn seit der definitiven Diagnose Krebs Mitte Januar lebe ich bewusster. Ich weiß zwar nicht, was auf mich zukommen wird, aber ich weiß, was ich erreichen möchte, wenn ich hier durch bin. Ich möchte auch was zurückgeben. Ein kleines Stück Hoffnung zurück in die Welt aus Leid und Hilflosigkeit geben, von der ich weiter oben schon schrieb.
Bislang habe ich noch nicht auf die meisten Beiträge zu meiner Unterstützungsbitte reagiert. Im Gegenteil, ich war sogar eher überfordert. Fast im Minutentakt habe ich Nachrichten bekommen – und lag teilweise flennend wie ein Baby im Bett und war total hilflos – aber zumindest nicht mehr ganz so hoffnungslos.
Vielen, vielen, vielen Dank an alle. Ich werde versuchen mich bei jedem einzelnen von euch zu bedanken. Ihr seid der Wahnsinn.
Ich versuche jetzt noch ein wenig zu schlafen, nachher gibt es wieder fieses Zeug durch die Venen. Aber das wird schon. Vielen Dank für eure Solidarität. Und alles Gute für jeden Einzelnen von euch!
Der Tag beginnt mal wieder mit einer unruhigen Nacht. Um 00:48 Uhr werde ich wach – Palaver auf dem Flur. Im Zimmer nebenan ist ein recht alter Patient untergebracht. Er scheint auch an Demenz erkrankt zu sein. Bereits in den vergangenen Nächten habe ich da schon meine Erfahrungen mit dem rastlosen kleinen Mann gemacht. Immer mal wieder ging nachts die Tür zu meinem Zimmer auf und da stand er dann da, wie Rumpelstilzchen im Zwielicht zwischen dem Dunkel meines Zimmers und dem stadionhell erleuchteten Flur und starrte in mein Zimmer. Der Spuk ging immer nur ein paar Sekunden, danach trollte er sich wieder in seine eigene Kammer zurück – meine Pforte lies er bei seiner Weiterreise aber stets offen. Also, raus aus den Federn zur Tür🚪 , Tür🚪zu machen und versuchen weiterzupennen. Heute Nacht reichte ihm das aber anscheinend nicht aus und er durchstreifte den gesamten Korridor unseres Flügels. Die nachtwachende Schwester bemerkte das Schauspiel zwar ziemlich schnell, hatte aber Probleme zu dem Herrn durchzudringen und so entspann es sich, das Palaver auf dem Flur. Mit einer Geduld, auf die ich stolz wäre, hätte ich auch nur 10% davon, versuchte die Schwester, den Patienten zur Rückkehr in sein Zimmer zu bekehren. Dabei nutzte sie den beliebten „kaputte-Schallplatte-Trick“. Den nehme ich eigentlich immer nur, wenn die Kids im Supermarkt das achthunderfünfundneunzigtrilliardentste Süßigkeitenstück in den Wagen legen wollen.
„Herr Sch., bitte gehen Sie wieder in Ihr Zimmer.“
„Aber ich muss doch…“
Herr Sch., bitte gehen Sie wieder in Ihr Zimmer.“
„Aber ich muss doch das und das!“
Herr Sch., bitte gehen Sie wieder in Ihr Zimmer.“
„Ich will aber nicht auf mein Zimmer, ich will bliblablubb*“
„Herr Sch., bitte gehen Sie wieder in Ihr Zimmer.“
Und so geht das weiter und weiter und weiter. Und nach und nach werden immer mehr Patienten wach. Nur Herr Sch. sieht leider nicht ein, nachzugeben. Die Schwester ist leider weitestgehend machtlos, da sie alleine ist. Nichtmal die Androhung die Polizei zu rufen fruchtet. Und bei sowas soll man genesen. 😂 Irgendwann holt sie einen Pfleger der Nachbarstation zu Hilfe und es kehrt langsam Ruhe ein. Auch ich schlafe irgendwann wieder ein. Dafür kommen jetzt wieder die wirren Träume. Wieder pünktlich in der Nacht vom vierten auf den fünften Tag. Ich hab nachgeschaut und es mit dem ersten Zyklus verglichen. Ihr erinnert euch: die Geschichte mit der Abmahnung, dem geheimen unterirdischen Autohaus, Mark Forster, Til Schweiger und Heidi Klum?! Ansonsten nochmal den Eintrag vom 28.01.2020 nachlesen. 😉 Dieses Mal träume ich aber nicht von der deutschen Prominenz. Ich scheine meine Lungenproblemchen zu verarbeiten. Der Inhalt meines Traums: ich schwimme in einem See. Plötzlich: eine Röhre. Mal rein da, schauen, wo sie hinführt. Ins Dunkle. Plötzlich wird aus dem Dunklen muffiges Dunkles. Links und rechts neben mir Rippen… Grooooooße Rippen. Weiterschwimmen. Auf einmal Zähne. Viele. Und auch groß. Ich schwimme durch einen Hai! 😄👈 Total bekloppt. Irgendwann ist das Abenteuer dann aber auch zu Ende. Verrücktes Zeug. Jetzt ist es 06:57 Uhr und ich warte darauf, dass der Tag richtig beginnt. Gespannt darauf, was heute wieder tolles passiert. Wir werden es erleben.
Dann erstmal Frühstück. Mein Zimmergenosse Klaus tauscht mit mir seine zwei Scheiben Edamer gegen eine Erdbeerkonfitüre. Ist ja wie auf dem Basar hier. 😂 Aber ein gutes Geschäft für mich.
Wenig später kommt dann auch ein Pflegeschüler oder Medizinstudent im letzten Ausbildungsjahr und möchte Blut aus meinem Portkatheter abnehmen. Er fragt mich, ob die Spritze einfach so an den Anschluss der Nadel angesetzt wird, oder ob dafür Adapter nötig sind… Bin ich der (angehende) Mediziner oder er!? Ich erkläre es ihm trotzdem. „Einfach dran damit! Aber vorher desinfizieren, dann erstmal spülen, Blut anziehen, dann die Röhrchen dran, Blut abnehmen, wieder spülen, fertig!“.
Also dann, er führt alles so durch, wie ich es ihm gesagt habe. Beim Blut ziehen ist er etwas verwundert: „Kommt ja gar nix.“. Ich sag: „Die Schlauchklemme ist ja auch noch verriegelt!“. Menschen sind halt auch nur Autos. Wenn da die Handbremse angezogen ist, dann geht’s halt nicht so richtig los. Also dann, Schlauchsperre frei und Wasser, bzw. Blut marsch! Wahnsinn, was ich hier selbst alles schon gelernt habe und nun an die künftigen Lebensretter weitergeben darf – Interims-Ausbilder… 😁 Uhrzeitlicher Zwischenstand: 09:05 Uhr.
Ansonsten weiß ich immer noch nicht so recht, ob ich beim Horoskop jetzt noch bei Stier oder bei Krebs lesen muss. Mein Stier-Horoskop hat auf jeden Fall Humor. So liest sich doch am heutigen Tage folgendes:
Job/Geld: „Wenn es darum geht, die Kollegen zu motivieren, sind sie heute unschlagbar.“ – gut, dass ich momentan nicht arbeite.
Aber mein Favorit ist folgende Passage.
Liebe: „Sie lassen sich auf die Liebe mit Haut und Haaren ein.“
Ansonsten ging es nachmittags mit den Mädels noch mal schnell zum Famila, ein bisschen was zu trinken kaufen, kleinere Snacks für zwischendurch und dann ist der Tag auch schon wieder gelaufen.
Aber bevor ich es noch vergesse:
Happy Birthday, Enzo.
Der frühere Rennfahrer, Gründer von Ferrari und offensichtlich auch Erstplatzierter im Mesut-Özil-Lookalike-Contest (noch vor Mesut Özil, der Platz 3 belegt), wäre heute 122 Jahre alt geworden.
Frappierende Ähnlichkeit: Links Enzo Ferrari, rechts Mesut Özil. Spooky: Ferrari starb ziemlich genau 2 Monate und 1 Tag bevor Mesut Özil das Licht der Welt erblickte.
Mittlerweile ist es 20:40 Uhr und ich werde müde. Die Nacht gestern hängt mir noch in den Knochen. Also werde ich jetzt meine Innenseiten der Augenlieder mal auf Unversehrtheit kontrollieren (zu gut deutsch: Augen zu machen!). Bis morgen, liebe Liebenden! Hold the ears stiff!